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Rechtsprechung



LG Frankfurt a.M., Urteil vom 23.08.2006 - Az. 2-06 O 272/06

"TOMA-Maske"- Die fast identische Nachahmung eines überragend bekannten Produkts begründet eine besondere Unlauterkeit, die außerhalb des vom Urheberrechtsgesetz erfassten Schutzbereichs liegt. Besteht ein hohes Maß an Übereinstimmungen und ein hoher Bekanntheitsgrad des nachgeahmten Produkts, wird dadurch die weniger stark ausgeprägte Individualität kompensiert.

UrhG § 2, § 69 a Abs. I, Abs. 2 S.1; UWG § 4 Nr. 9

Leitsätze:*

1. Benutzeroberflächen und Bildschirmmasken sind keine Computerprogramme i.S.v. § 69 a Abs. 1 UrhG. Denn unter den Ausdrucksformen eines Computerprogramms gemäß § 69 a Abs. 2 S. 1 UrhG ist nur der Programmcode sowie die innere Gestaltung in Form der Struktur und Organisation des Programms zu verstehen. Benutzeroberflächen werden indes technisch durch das Programm bzw. dessen Befehle und Grafikdaten generiert und dementsprechend erst durch den Programmablauf sichtbar gemacht.

2. Allein der hohe Grad an Übereinstimmungen zweier Programmoberflächen (hier: Buchungsmasken) spricht nicht für eine Übernahme des (Programm-) Quellcodes. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Programmoberfläche ohne weiteres nachschaffend erstellt werden kann, ohne dass es eines Rückgriffs auf den Quellcode des anderen Programms bedarf (hier: ein Programm-Quellcode der auf die 80er Jahre zurückgeht).

3. Bei einer Programmoberfläche ist bereits zweifelhaft, unter welche Werkkategorie diese fallen könnte. Allenfalls kommt der Schutz als Darstellung wissenschaftlicher oder technischer Art in Betracht (§ 2 Nr. 7 UrhG). Die Gestaltung eines Zeilen- und Fensteraufbaus im Stil der - zeitgemäßen - technischen Möglichkeiten (hier: der 80er Jahre) ist allerdings frei. Einer derartigen Gestaltungsform fehlt es an der erforderlichen Schöpfungshöhe, soweit deren Aufbau nicht auf besonderen schöpferischen Leistungen beruht und nicht über das normale handwerkliche Können hinausgeht.

4. Eine lediglich zweckmäßige Gestaltung einer Bildschirmseite genießt keinen urheberrechtlichen Schutz. Allein die Tatsache, dass eine Benutzeroberfläche über Jahre hinweg eine erhebliche Verkehrsdurchsetzung erfahren hat, spricht nicht automatisch für eine besondere Individualität.

5. Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz ist nicht durch den Vorrang des Urheberrechtsschutzes ausgeschlossen. Erfüllt eine grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Urheberrechts fallende Handlung nicht den Tatbestand einer Urheberrechtsverletzung, ist die Anwendung des § 4 Nr. 9 UWG nicht ausgeschlossen, sofern besondere, außerhalb des Urheberrechts liegende Umstände hinzutreten, die die Unlauterkeit begründen.

6. Die Nachahmung nicht besonders geschützter Gegenstände ist grundsätzlich erlaubt. Nur unter besonderen Umständen kann freien Gütern ein wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen Nachahmung zugebilligt werden. Solche Umstände liegen vor, wenn es sich um ein Erzeugnis handelt, dem wettbewerbliche Eigenart zukommt. Dies wiederum setzt voraus, dass der Verkehr mit der konkreten Ausgestaltung oder bestimmten Merkmalen eines Erzeugnisses eine betriebliche Herkunft verbindet und deshalb eine Irreführung des Verkehrs zu befürchten ist. Hierbei kommt es auf die Gesamtwirkung der beiderseitigen Erzeugnisse an.

7. Zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme (der Ausgestaltung oder von Merkmalen) sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen besteht eine Wechselwirkung. Je größer die wettbewerbliche Eigenart, um so geringer sind die Anforderungen an die besonderen Umstände, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachbildung begründen, und umgekehrt sind die Anforderungen an die wettbewerbliche Eigenart geringer, wenn ein hoher Grad der Nachahmung gegeben ist.

8. Die fast identische Nachahmung eines überragend bekannten Produkts begründet eine besondere Unlauterkeit, die außerhalb des vom Urheberrechtsgesetz erfassten Schutzbereichs liegt. Besteht ein hohes Maß an Übereinstimmungen und ein hoher Bekanntheitsgrad des nachgeahmten Produkts, wird dadurch die weniger stark ausgeprägte Individualität kompensiert.

MIR 2006, Dok. 171


Download: Entscheidungsvolltext PDF


Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 28.09.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/389

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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