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Rechtsprechung // Verfahrensrecht



OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 07.05.2024 - 6 W 37/24

Rechtsmissbräuchlicher Eilantrag - Das Verschweigen der Reaktion des Antragsgegners auf eine Abmahnung kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch darstellen (Titelerschleichung)

BGB § 242 BGB; ZPO §§ 138 Abs 1, 922, 936

Leitsätze:*

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig, wenn der Antragsteller nur mitteilt, die vorgerichtliche Abmahnung der Antragsgegnerin sei "ergebnislos" gewesen, obwohl die Antragsgegnerin den Verletzungsvorwürfen mit rechtlichen Erwägungen entgegengetreten ist und außergerichtlich auf die Pflicht zur Vorlage ihrer Erwiderung hingewiesen hat.

2. Jede Rechtsausübung unterliegt, auch im Zivilverfahren, dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Missbrauchsverbot (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 20.11.2012 - VI ZB 1/12). Es kann insoweit ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch darstellen, wenn der Antragsteller dem Gericht die Reaktion des Antragsgegners auf eine vorgerichtliche Abmahnung verschweigt. Die prozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) verpflichtet den Antragsteller zur vollständigen Erklärung über die tatsächlichen Umstände (vgl. z.B. KG, Beschluss vom 15.10.2021 - 5 W 133/21 - Investoren-Präsentation; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 03.07.2023 - 6 W 50/23 - Urgo-Tül). Eine einstweilige Verfügung darf nicht ergehen, wenn dem Gericht das Erwiderungsschreiben auf eine vorgerichtliche Abmahnung nicht vorgelegt worden ist und dadurch die prozessualen Äußerungsmöglichkeiten des Antragsgegners nicht hinreichend gewahrt worden sind (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 03.12.2020 - 1 BvR 2575/20). Das Vorenthalten der Erwiderung kann in einem solchen Fall den Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen (ggf. versuchter) missbräuchlicher Titelerschleichung rechtfertigen, weil dem Gericht eine sachgerechte Entscheidung über die etwaige Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor Erlass der einstweiligen Verfügung oder über eine schriftliche Anhörung des Antragsgegners respektive den Verzicht darauf unter dem Aspekt der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO (in der Regel) erst bei Vorliegen der gesamten vorgerichtlichen Korrespondenz möglich ist (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 03.12.2020 - 1 BvR 2575/20). Zwar kommt der Vorwurf einer gezielten Gehörsvereitelung grundsätzlich nur im einseitig geführten Eilverfahren in Betracht (vgl. z.B. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 03.07.2023 - 6 W 50/23 - Urgo-Tül). Solange die Gegenseite daran nicht förmlich beteiligt ist, hat der Antragsteller einen die Streitsache betreffenden Schriftsatz allerdings wegen seiner Pflicht zu vollständigem Vortrag grundsätzlich auch dann unaufgefordert vorzulegen, wenn ihm dieser erst nach Einleitung des Eilverfahrens zugeht (vgl. z.B. OLG München, Urteil vom 05.08.2021 - 29 U 6406/20 - prozessuale Waffengleichheit). Zwar kann die Einreichung unter Umständen durch die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts einer vorgerichtlichen Antwort der Gegenseite ersetzt werden (vgl. z.B. OLG Nürnberg, Beschluss vom 14.08.2023 - 3 W 1525/23 - Sextoys). Eine Obliegenheit zur sofortigen Information kann im Einzelfall auch zu verneinen sein, wenn der Antragsteller darüber informiert ist, dass die Gegenseite gerichtlich angehört werden wird (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 03.07.2023 - 6 W 50/23 - Urgo-Tü). Der Inhalt eines zusätzlichen Telefonats muss gegebenenfalls auch nicht wiedergegeben werden, wenn zumindest die schriftliche Reaktion des Gegners vorgelegt worden ist (vgl. insofern OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.02.2019 - 6 W 9/19 - gekaufte Kundenbewertungen).

MIR 2024, Dok. 061


Anm. der Redaktion: Leitsatz 1 ist der Leitsatz des Gerichts.
Download: Entscheidungsvolltext PDF

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 23.07.2024
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3390

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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