Kurz notiert
Oberlandesgericht Dresden
Strengere Maßstäbe für Äußerungen in der Öffentlichkeit im Vergleich zu solchen Äußerungen, die gegenüber Stellen, die zur Entgegennahme von Anzeigen oder eines Verdachts berufen sind abgegeben werden.
OLG Dresden, Urteil vom 3.08.2006, Az.: 4 U 536/06
MIR 2006, Dok. 115, Rz. 1
1
Mit Urteil vom 03.08.2006 hat der 4. Zivilsenat des OLG Dresden zwischen Äußerungen in der Öffentlichkeit und solchen gegenüber
Behörden u. ä. differenziert: Was in der Öffentlichkeit nicht verbreitet werden darf, kann für Äußerungen gegenüber zur
Aufklärung von Missständen berufenen Stellen durchaus erlaubt sein.
Zum Hintergrund des Rechtsstreits:
Die Parteien sind bzw. waren u. a. im Raum Leipzig unternehmerisch tätig. Der Verfügungsbeklagte hatte Ende 2005 in einem u. a. an den Verwaltungsrat der Stadt- und Kreissparkasse Leipzig (SKL) und die Staatsanwaltschaft Leipzig gerichteten Schreiben zahlreiche Vorwürfe gegen den Verfügungskläger sowie Mitglieder der SKL erhoben. Unter anderem hatte er diese bezichtigt, einer zum "Dunstkreis" des Verfügungsklägers gehörenden Firma wirtschaftli-che Vorteile um den Preis der "Vernichtung" des Verfügungsbeklagten verschafft haben zu wollen.
Dem Verfügungskläger sollen zudem durch die SKL sachlich nicht gerechtfertigte Sondervergünstigungen eingeräumt worden sein. Der Vorgang hat ein erhebliches Medienecho gefunden.
Der Verfügungskläger, der sämtliche Vorwürfe bestreitet, hat daraufhin den Verfügungsbeklagten beim Landgericht Leipzig im Wege der einstweiligen Verfügung erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Hiergegen richtete sich die Berufung des Verfügungsbeklagten, die zu einer Teilabänderung der landgerichtlichen Entscheidung führte:
Der 4. Zivilsenat hat die Unterlassungsverpflichtung nur für Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit aufrechterhalten, im übrigen wurde der Antrag auf einstweilige Verfügung zurückgewiesen.
Nach Ansicht des Senates steht es jedermann frei, angebliche Missstände denjenigen Stellen anzuzeigen, die dazu berufen sind, einem entsprechenden Verdacht nachzugehen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Das jedem Staatsbürger zustehende Recht der Erstattung einer Anzeige oder Mitteilung eines Verdachts gelte auch dann, wenn die Äußerungen - wie in solchen Fällen regelmäßig - ehrverletzenden Inhalt haben. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur in engen Grenzen anzunehmen. Im Hinblick auf Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit - insbesondere den Medien - hat der Senat einen Unterlassungsanspruch des Antragstellers hingegen bejaht, weil sich für die Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe keine tragfähigen Tatsachengrundlagen hätten finden lassen. Auch auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen könne sich der Verfügungsbeklag-te nicht berufen, solange er die Informationsquellen, auf die er sich beruft, nicht preisgebe.
(tg)
Quelle: PM des OLG Dresden Nr. 22/06 vom 4.08.2006
Zum Hintergrund des Rechtsstreits:
Die Parteien sind bzw. waren u. a. im Raum Leipzig unternehmerisch tätig. Der Verfügungsbeklagte hatte Ende 2005 in einem u. a. an den Verwaltungsrat der Stadt- und Kreissparkasse Leipzig (SKL) und die Staatsanwaltschaft Leipzig gerichteten Schreiben zahlreiche Vorwürfe gegen den Verfügungskläger sowie Mitglieder der SKL erhoben. Unter anderem hatte er diese bezichtigt, einer zum "Dunstkreis" des Verfügungsklägers gehörenden Firma wirtschaftli-che Vorteile um den Preis der "Vernichtung" des Verfügungsbeklagten verschafft haben zu wollen.
Dem Verfügungskläger sollen zudem durch die SKL sachlich nicht gerechtfertigte Sondervergünstigungen eingeräumt worden sein. Der Vorgang hat ein erhebliches Medienecho gefunden.
Der Verfügungskläger, der sämtliche Vorwürfe bestreitet, hat daraufhin den Verfügungsbeklagten beim Landgericht Leipzig im Wege der einstweiligen Verfügung erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Hiergegen richtete sich die Berufung des Verfügungsbeklagten, die zu einer Teilabänderung der landgerichtlichen Entscheidung führte:
Der 4. Zivilsenat hat die Unterlassungsverpflichtung nur für Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit aufrechterhalten, im übrigen wurde der Antrag auf einstweilige Verfügung zurückgewiesen.
Nach Ansicht des Senates steht es jedermann frei, angebliche Missstände denjenigen Stellen anzuzeigen, die dazu berufen sind, einem entsprechenden Verdacht nachzugehen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Das jedem Staatsbürger zustehende Recht der Erstattung einer Anzeige oder Mitteilung eines Verdachts gelte auch dann, wenn die Äußerungen - wie in solchen Fällen regelmäßig - ehrverletzenden Inhalt haben. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur in engen Grenzen anzunehmen. Im Hinblick auf Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit - insbesondere den Medien - hat der Senat einen Unterlassungsanspruch des Antragstellers hingegen bejaht, weil sich für die Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe keine tragfähigen Tatsachengrundlagen hätten finden lassen. Auch auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen könne sich der Verfügungsbeklag-te nicht berufen, solange er die Informationsquellen, auf die er sich beruft, nicht preisgebe.
(tg)
Quelle: PM des OLG Dresden Nr. 22/06 vom 4.08.2006
Online seit: 04.08.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/330
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Was Sie noch interessieren könnte...
Manhattan Bridge - Die unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke sind auf die Haftung von Online-Marktplätzen übertragbar
BGH, Urteil vom 23.10.2024 - I ZR 112/23, MIR 2024, Dok. 090
Afterlife - Zur Bestimmung der Reichweite der dem Inhaber eines Internetanschlusses im Falle einer über seinen Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung obliegenden sekundären Darlegungslast
BGH, Urteil vom 06.10.2016 - I ZR 154/15, MIR 2017, Dok. 013
Unzulässige E-Mail-Werbung und (verdeckte) Generalleinwilligung - Zum Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch unverlangte Werbe-E-Mails
BGH, Urteil vom 14.03.2017 - VI ZR 721/15, MIR 2018, Dok. 001
Rechtsberatung durch Architektin - Die Vertretung von einem Grundstückseigentümer in einem Widerspruchsverfahren durch eine Architektin stellt keine erlaubte Rechtsdienstleistung dar
BGH, Urteil vom 11.02.2021 - I ZR 227/19, MIR 2021, Dok. 019
Jameda.de - Ausgestaltung des Ärzte-Bewertungsportals (war) in Teilen unzulässig
Oberlandesgericht Köln, MIR 2019, Dok. 033
BGH, Urteil vom 23.10.2024 - I ZR 112/23, MIR 2024, Dok. 090
Afterlife - Zur Bestimmung der Reichweite der dem Inhaber eines Internetanschlusses im Falle einer über seinen Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung obliegenden sekundären Darlegungslast
BGH, Urteil vom 06.10.2016 - I ZR 154/15, MIR 2017, Dok. 013
Unzulässige E-Mail-Werbung und (verdeckte) Generalleinwilligung - Zum Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch unverlangte Werbe-E-Mails
BGH, Urteil vom 14.03.2017 - VI ZR 721/15, MIR 2018, Dok. 001
Rechtsberatung durch Architektin - Die Vertretung von einem Grundstückseigentümer in einem Widerspruchsverfahren durch eine Architektin stellt keine erlaubte Rechtsdienstleistung dar
BGH, Urteil vom 11.02.2021 - I ZR 227/19, MIR 2021, Dok. 019
Jameda.de - Ausgestaltung des Ärzte-Bewertungsportals (war) in Teilen unzulässig
Oberlandesgericht Köln, MIR 2019, Dok. 033