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Kurz notiert



Thomas Gramespacher

Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Alexander Dix, hat sich für ein Moratorium bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.

MIR 2006, Dok. 112, Rz. 1-8


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Bei einer Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin am 4. Juli 2006 hat der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Alexander Dix, auf die erheblichen verfassungsrechtlichen Probleme der Vorratsdatenspeicherung hingewiesen. Zudem hätten Irland und die Slowakei Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Richtlinie angekündigt. Es mache keinen Sinn, vor einer Entscheidung hierüber die Richtlinie innerstaatlich umzusetzen.

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Dix wies unter anderem auf die Gefahren hin, die daraus entstünden, wenn man im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung erhobene Daten auch zur Bekämpfung anderer Kriminalitätsformen als dem Terrorismus (z.B. Kinderpornographie oder Stalking) verwenden wollte.

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Entstehung eines unkontrollierbaren Datenbestandes
"Würden tatsächlich sämtliche Verkehrsdaten von Millionen von Telefonaten und Internet-Nutzungen ohne konkreten Verdacht auf Vorrat gespeichert, entstünde ein Datenbestand, den kein Gesetzgeber der Welt einer effektiven Zweckbindung unterwerfen könnte. Es gäbe immer legitime und plausible Zwecke auch unterhalb der Schwelle der Terrorismusbekämpfung, für solche Daten nützlich sein könnten", bemerkte Dix.

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Dix erklärte weiterhin, dass eine Zweckerweiterung der Vorratsdatenspeicherung, wie sie die Bundesregierung offenbar beabsichtige - das Daten nicht nur zur Bekämpfung von schweren Straftaten, sondern auch für "erhebliche oder mittels Telekommunikation begangene Straftaten" genutzt werden sollen (vgl. Entschließung der Koalitionsfraktionen BT-Drs. 16/545) - nicht nur grundrechtsschonend, sondern auch gemeinschaftsrechtswidrig sei. Denn die Richtlinie spreche ausschließlich von schweren Straftaten, die die Mitgliedstaaten definieren müssen. Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden, seien aber nicht schon deshalb erheblich oder gar schwer.

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Problem: Abgrenzung von Inhaltsdaten und Verkehrsdaten
Ferner verwies der Datenschutzbeauftragte darauf, dass die ausdrückliche Klarstellung in der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, dass sie nicht für die Bevorratung von Inhaltsdaten gelte, als Begrenzung aus mehreren Gründen labil sei.
Zum einen sei der Übergang zwischen Verkehrsdaten und Inhaltsdaten gerade angesichts der Weite der in Art. 5 der Richtlinie genannten Datenkategorien fließend. So gäben Internet-Adressen eben nicht nur Auskunft über die Umstände der Internet-Nutzung, sondern auch über ihren Inhalt. Zum anderen zwinge das deutsche Verfassungsrecht den Gesetzgeber, für den Schutz zumindest bestimmter Berufsgeheimnisse auch bei der Erhebung und Auswertung von Verkehrsdaten zu sorgen (Bspe: Mandant und Strafverteidiger, Arzt-Patienten-Verhältnis, Journalisten). Dies sei allerdings ohne eine Analyse der Kommunikation nicht möglich. "[...] Wie will man sonst feststellen, ob eine Patientin gerade mit Ihrem Arzt oder ein Mandant mit seinem Anwalt telefoniert?", hinterfragte Dix.

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Verkehrdaten und die Verfolgung von Urheberrechtsverletzung
Dix betonte weiterhin, dass Verkehrdaten in der Praxis auch eine immer wichtigere Rolle bei der Vefolgung von behaupteten Urheberrechtsverletzungen spielen.
Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (die sog. Enforcement-Richtlinie) vom April 2004 (2004/48/EG) verpflichte die Mitgliedstaaten zu verstärkten Maßnahmen im Kampf gegen die Produktpiraterie. Nach Artikel 8 dieser Richtlinie sollen die Gerichte künftig "auf einen begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden Antrag hin anordnen können, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, vom Verletzer und/oder jeder anderen Person erteilt werden, die...c) nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbracht hat..."

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Der vom Bundejustizministerium im Januar 2006 vorgelegte Referentenentwurf, der vorsehe, dass nun doch zivilrechtliche Auskunftsansprüche zur Identifikation von Nutzern anhand der IP-Adressen direkt gegen Access-Provider gerichtet werden können, sei mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Richtlinie zum Datenschutz bei der elektronischen Kommunikation aber nicht vereinbar. Denn diese sehe - genauso wie das deutsche Telemedien- und Telekommunikationsrecht - vor, dass Verkehrsdaten dann gelöscht oder anonymisiert werden müssen, wenn sie zur Übertragung einer Nachricht nicht mehr benötigt werden. Abweichungen seien nur dann anerkannt, soweit sie für die nationale oder öffentliche Sicherheit oder zur Ermittlung und Verhütung von Straftaten notwendig und angemessen seien. Direkte Auskunftsansprüche gegen Access-Provider auf Identifikation von Tauschbörsen-Nutzern anhand der dynamischen IP-Adresse aber gehörten nicht dazu.
Auch nach der Enforcement-Richtlinie bliebe es dabei, dass Urheberrechtsverletzungen nur von den Strafverfolgungsbehörden in dieser Weise verfolgt werden könnten, dass Access-Provider zur Offenlegung von Nutzeridentitäten verpflichtet sind.

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Schließlich fasste Dix sein Impulsreferat in den sechs folgenden Thesen zusammen:

1. Die Vorratsdatenspeicherung würde zu Datenbeständen führen, deren Zweckrichtung kaum zu kontrollieren wäre.

2. Das Grundgesetz gebietet eine möglichst grundrechtsschonende Umsetzung von Gemeinschaftsrecht.

3. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG spricht für die Verfassungswidrigkeit der Vorratsdatenspeicherung.

4. Soweit Gemeinschaftsrecht mit deutschem Verfassungsrecht kollidiert, müssen EuGH und BVerfG angerufen werden Stellung zu beziehen (vgl. "Solange"-Rechtsprechung des BVerfG).

5. Notwendig: Moratorium bei der Umsetzung der Vorratsdatenrichtlinie.

6. Einführung einer Auskunftspflicht von Access-Providern gegenüber Rechteinhabern bei Urheberrechtsverletzungen (Nutzeridentifikation über IP-Adresse) widerspricht dem Gemeinschaftsrecht.

Quellen:
www.datenschutz-berlin.de - Meldung "Aktuelles" vom 1.08.2006
Impulsreferat des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Dix, bei der Fachtagung Datenschutz 2006, Berlin (abzurufen unter: http://www.datenschutz-berlin.de/ueber/referate/ebert_stiftung.pdf)

Online seit: 01.08.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/327
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