Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 26.01.2023 - I ZR 111/22
Mitgliederstruktur - Für die Klagebefugnis eines Verbands (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF) kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen
UWG aF § 8 Abs. 3 Nr. 2
Leitsätze:*1. Die Klagebefugnis eines Verbands nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF setzt voraus, dass dieser die Interessen einer erheblichen Zahl von Unternehmern wahrnimmt, die auf demselben Markt tätig sind wie der Wettbewerber, gegen den sich der Anspruch richtet. Sinn dieser Regelung ist es, die Berechtigung eines Wirtschaftsverbands zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auf die kollektive Wahrnehmung von Mitgliederinteressen zu beschränken (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.1995 - I ZR 107/93 - Vergoldete Visitenkarten).
2. Der Begriff der Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF ist weit auszulegen. Die beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen müssen sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen beeinträchtigt werden kann. Es reicht aus, dass eine nicht gänzlich unbedeutende potentielle Beeinträchtigung mit einer gewissen, wenn auch nur geringen Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann (BGH, Urteil vom 01.03.2007 - I ZR 51/04 - Krankenhauswerbung; BGH, Urteil vom 07.05.2015 - I ZR 158/14 - Zauber des Nordens, mwN).
3. Erheblich im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF ist die Zahl der Mitglieder des Verbands auf dem einschlägigen Markt dann, wenn diese Mitglieder als Unternehmer, bezogen auf den maßgeblichen Markt, in der Weise repräsentativ sind, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbands ausgeschlossen werden kann. Dies kann auch schon bei einer geringen Zahl auf dem betreffenden Markt tätiger Mitglieder anzunehmen sein. Darauf, ob diese Verbandsmitglieder nach ihrer Zahl und ihrem wirtschaftlichen Gewicht im Verhältnis zu allen anderen auf dem Markt tätigen Unternehmern repräsentativ sind, kommt es nicht an (BGH, GRUR 2007, 809 [juris Rn. 15] - Krankenhauswerbung; GRUR 2015, 1240 [juris Rn. 14] - Zauber des Nordens, mwN). Der Kläger braucht deshalb auch nicht zu Bedeutung und Umsatz seiner (mittelbaren oder unmittelbaren) Mitglieder vorzutragen. Dem Zweck des Gesetzes, die Klagebefugnis der Verbände auf Fälle zu beschränken, die die Interessen einer erheblichen Zahl von verbandsangehörigen Wettbewerbern berühren, wird schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn im Wege des Freibeweises festgestellt werden kann, dass es dem Verband bei der betreffenden Rechtsverfolgung nach der Struktur seiner Mitglieder um die ernsthafte kollektive Wahrnehmung der Mitgliederinteressen geht (vgl. BGH, Urteil vom 23.10.2008 - I ZR 197/06 - Sammelmitgliedschaft VI). Bei der Prüfung, ob einem Verband eine erhebliche Zahl von Wettbewerbsunternehmern angehört, können auch solche Unternehmer zu berücksichtigen sein, die Mitglied in einem Verband sind, der seinerseits Mitglied des klagenden Verbands ist (BGHZ 215, 12 - Preisportal, mwN).
4. Für die Klagebefugnis eines Verbands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen. Wie bei mittelbaren Mitgliedern kommt es auch bei unmittelbaren Mitgliedern auf deren Stimmberechtigung nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihre Mitgliedschaft allein bezweckt, dem Verband die Klagebefugnis zu verschaffen (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. November 2006 - I ZR 218/03, GRUR 2007, 610 [juris Rn. 21] = WRP 2007, 778 - Sammelmitgliedschaft V).
5. Zum Einwand des Rechtsmissbrauchs bei der Abmahntätigkeit eines Verbands (hier: im Ergebnis verneint).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 28.03.2023
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3269
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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