Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Urteil vom 06.10.2022 - VII ZR 895/21
Machtbereich Mailserver - Im unternehmerischen Verkehr gilt eine E-Mail im Zeitpunkt der Bereitstellung auf dem Mailserver des Empfängers zu den üblichen Geschäftszeiten grundsätzlich als zugegangen
BGB §§ 779, 145, 147 Abs. 2, § 130; ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Leitsätze:*1. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14.02.2019 - IX ZR 181/17; BGH, Urteil vom 08.01.2014 - IV ZR 206/13; BGH, Beschluss vom 21.06.2011 - II ZB 15/10).
2. Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.
3. Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.
Der BGH konstatiert - unter kurzer Darstellung der wesentlichen Strömungen - das in der Rechtsprechung bislang in der Tat nicht abschließend geklärt ist, wann eine E-Mail als zugegangen gilt. Die Einzelfragen und Konstellationen sind nach wie vor inhaltlich durchaus relevanter Gegenstand der materiell-rechtlichen Auseinandersetzung. Gleichwohl gebe der Streitfall keinen Anlass, die Rechtslage umfassend zu entscheidend. Denn jedenfalls für den hier vorliegenden und nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass eine - im unternehmerischen Verkehr versendete - E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem E-Mailserver des Adressaten bzw. Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, sei die E-Mail dem Adressaten grundsätzlich in diesem Zeitpunkt auch zugegangen. Insoweit sei die E-Mail nämlich so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen könne, ohne das es auf den tatsächlichen Abruf bzw. die tatsächliche Kenntnisnahme ankomme (vgl. Rz 19 sowie amtlicher Leitsatz (2)). (RA Thomas Ch. Gramespacher, Bonn)
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.11.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3226
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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