Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 07.04.2022 - I ZR 217/20
Kinderzahnarztpraxis - Zum Verkehrsverständnis und dessen Beurteilung aus der eigenen Sachkunde und Lebenserfahrung des Gerichts im Bereich der Kinderzahnheilkunde
UWG § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Fall 2 Nr. 3
Leitsätze:*1. Die Ermittlung der Verkehrsauffassung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob das Berufungsgericht den Tatsachenstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft hat und die Beurteilung mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen in Einklang steht. Da es sich nicht um eine Tatsachenfeststellung im eigentlichen Sinne, sondern um die Anwendung spezifischen Erfahrungswissens handelt, kann ein Rechtsfehler auch darin bestehen, dass die festgestellte Verkehrsauffassung erfahrungswidrig ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29.07.2021 - I ZR 114/20, MIR 2021, Dok. 074 - Kieferorthopädie, mwN).
2. Für die Frage, wie eine Werbung verstanden wird, ist gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 UWG auf die Sichtweise des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen, der zur angesprochenen Gruppe gehört (BGH, Urteil vom 09.09.2021 - I ZR 125/20, WRP 2021, 1429 - Influencer II). Gehören die Mitglieder des Gerichts selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedarf es im Allgemeinen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens, um das Verkehrsverständnis zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29.07.2021 - I ZR 114/20, MIR 2021, Dok. 074 - Kieferorthopädie, mwN).
3. Das vom Tatgericht ermittelte Verkehrsverständnis, nach dem die angesprochenen Verkehrskreise bei einer Werbung mit der Angabe "Kinderzahnarztpraxis" erwarten, dass die Ausstattung der Praxis kindgerecht ist und die dort tätigen Zahnärzte für die Belange von Kindern aufgeschlossen sind, aber nicht davon ausgehen, dass diese über besondere fachliche Kenntnisse im Bereich der Kinderzahnheilkunde verfügen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 29.04.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3178
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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