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Rechtsprechung // Verfahrensrecht



OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2022 - 4 W 119/20

Abmahnschreiben als Dateianhang - Ein Abmahnschreiben, das lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt wird, ist in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang tatsächlich geöffnet hat

ZPO § 93; BGB § 130

Leitsätze:*

Wird ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat.

MIR 2022, Dok. 027


Anm. der Redaktion: Der Leitsatz ist der Leitsatz des Gerichts.

Anmerkung:
Die Entscheidung postuliert eine problematische Generalisierung. Das Gericht führt u.a. aus: "Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, [40. Aufl. [2022], § 13 Rdnr. 47]). Es kann mithin im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Verfügungsbeklagten (dort möglicherweise im "Spam-Ordner") eingegangen sind. Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung vom 08.05.2020 jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des - ihm zuvor nicht bekannten - Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat."

Was hieraus in der Wahrnehmung durch die Praxis folgt ist klar: Der Versand einer Abmahnung als Dateianhang birgt das Risiko in sich, im Zweifel darlegen und beweisen zu müssen, dass der Empfänger den Dateianhang geöffnet hat. Die trifft - zumindest so pauschal - aber nicht zu. Die nur sehr kurze Entscheidung des Oberlandesgerichts enthält hier - möglicherweise, weil diese in der konkreten Konstellation nicht geboten waren - nur eine "zurückhaltende Argumentation".

Demgegenüber: Abmahnschreiben können und dürfen freilich als (Datei-)Anhang zu einer E-Mail versendet werden; sei es, dass man - wie oftmals gerade im geschäftlichen Verkehr - E-Mail-Nachrichten von unbekannten Empfängern erhält oder eben für den Empfänger einer versandten Nachricht zunächst unbekannt ist.

Es besteht für einen E-Mail-Empfänger hier keinesfalls die Möglichkeit sich mit einem pauschalen Verweis auf ein "allgemeinen Virenrisiko" und (ggf. zu "scharfe" oder fehljustierte) Spamfilter der Verantwortung einer im Zweifel durch ihn selbst geschäftlich eröffneten Kommunikations- und Empfangsmöglichkeit - wenn auch im "guten Glauben" und in so nicht erklärbarer Abkehr von den allgemeinen Zugangsregelungen - zu entziehen. Dies zumal "Zumutbarkeitserwägungen" hier allenfalls auch nur dann Platz greifen können, wenn etwa ebenso zumutbare technische Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik bei der Einrichtung des E-Mail-Empfangs und die Umstände es etwa im betreffenden Fall wahrscheinlich erscheinen lassen, dass dem konkreten E-Mail-Anhang nicht "getraut" werden kann. Etwa besteht bereits auf technischer Ebene ggf. ein Unterschied zwischen "offenen" Office-Dateien oder PDF-Dokumenten.

Dies alles bedarf einer stets differenzierten Betrachtung, der konkreten Umstände und einer Abwägung des - ggf. wiederstreitenden - Vorbringens. Eine Pauschalisierung - die in der Praxis und in den Instanzen leider stets die Gefahr einer "Vermutungswirkung" beinhaltet - ist hier nicht möglich.

Zugang ist im Grundsatz damit auch bei dem Versand einer Abmahnung als Dateianhang bereits dann gegeben, wenn der Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme nach Eingang des Schreibens in seinem "Machtbereich" hat (Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, § 13 Rdnr. 37 mwN). Dies ist initial der Fall, wenn die E-Mail mit dem Dateianhang auf dem Server des Empfängers bzw. im Posteingang des E-Mail-Kontos abgelegt wurde und nach dem gewöhnlichen Verlauf (auch zeitlich) mit der Kenntisnahme gerechnet werden kann.

Hiervon zu trennen seien dann Erwägungen, die die praktische Handhabung des Versands von Abmahnungen via E-Mail anbelangt; sei es, dass man den Text der Abmahnung bereits in den originären Text der E-Mail aufnimmt, parallel zusätzliche Übermittlungswege wählt o.ä.

Wie auch immer die die Übersendung einer Abmahnung via E-Mail gestaltet ist: Zugang ist grundsätzlich dann gegeben, wenn der Empfänger die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte und nicht erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme selbst.
Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Download: Entscheidungsvolltext PDF

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 06.04.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3170

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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