Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 25.11.2021 - I ZR 148/20
Kopplungsangebot III - Zu den wettbewerbsrechtlichen Anforderungen und der Beurteilung von Preisinformationen bei Kopplungsangeboten
UWG § 3 Abs. 1 und 2, § 4a, § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Nr. 2, § 5a Abs. 1 und 2
Leitsätze:*1. Die Werbung für Angebote, bei denen mehrere Waren und/oder Dienstleistungen in der Weise angeboten werden, dass bei Erwerb des einen Produkts das andere Produkt ohne Berechnung oder unter Berechnung eines nominellen Betrags abgegeben wird (sog. Kopplungsangebote), ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich zulässig. Die Möglichkeit, Güter und Dienstleistungen zu Gesamtangeboten (insbesondere Komplettangeboten) zusammenzustellen und dementsprechend zu bewerben, gehört zur Freiheit des Wettbewerbs (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2003 - I ZR 253/00 - Gesamtpreisangebot, mwN). Das gilt auch dann, wenn ein Teil der auf diese Weise gekoppelten Waren oder Leistungen ohne gesondertes Entgelt abgegeben wird (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2002 - I ZR 173/01 - Kopplungsangebot I).
2. Wegen der Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung und Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise bei Kopplungsangeboten müssen bestimmte Anforderungen erfüllt sein. Vor allem muss einer Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise über den tatsächlichen Wert des Angebots entgegengewirkt werden (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2002 - I ZR 173/01 - Kopplungsangebot I; BGH, Urteil vom 13.06.2002 - I ZR 71/01 - Kopplungsangebot II). Eine solche Täuschung unterfällt nunmehr dem Irreführungsverbot von § 5 Abs. 1 UWG. Ebenso muss vermieden werden, dass durch mangelnde Transparenz oder eine starke Anlockwirkung die Rationalität der Nachfrageentscheidung auf Seiten der angesprochenen Verkehrskreise über Gebühr zurückgedrängt wird (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2002 - I ZR 173/01 - Kopplungsangebot I; BGH, Urteil vom 13.06.2002 - I ZR 71/01 - Kopplungsangebot II). Das daraus folgende Transparenzgebot ist im unternehmerischen Verkehr nunmehr der Vorschrift von § 5a Abs. 1 UWG zu entnehmen, während einer starken Anlockwirkung grundsätzlich mit den Regelungen in § 4a beziehungsweise § 3 Abs. 1 UWG begegnet werden kann.
3. Kopplungsangebote sind irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Nr. 2 UWG, wenn sie über den tatsächlichen Wert des Angebots, insbesondere über den Wert der angebotenen Zusatzleistung, zu täuschen geeignet sind (BGH, Urteil vom 13.06.2002 - I ZR 173/01 - Kopplungsangebot I; BGH, Urteil vom 27.02.2003 - I ZR 253/00 - Gesamtpreisangebot; BGH, Urteil vom 02.06.2005 - I ZR 252/02 - Aktivierungskosten II).
4. Die an die Preisinformation bei Kopplungsangeboten zu stellenden Anforderungen ergeben sich nunmehr aus dem lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot (§ 5 Abs. 1 UWG), dem Tatbestand der Informationspflichtverletzung (im unternehmerischen Verkehr § 5a Abs. 1 UWG, im Verhältnis zu Verbrauchern § 5a Abs. 2 UWG) sowie aus dem Verbot aggressiver geschäftlicher Handlungen (§ 4a UWG) und der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel (im unternehmerischen Verkehr § 3 Abs. 1 UWG, im Verhältnis zu Verbrauchern § 3 Abs. 2 UWG; Weiterführung von BGH, Urteil vom 13. Juni 2002 - I ZR 173/01, BGHZ 151, 84 - Kopplungsangebot I; Urteil vom 27. Februar 2003 - I ZR 253/00, BGHZ 154, 105 - Gesamtpreisangebot).
5. Bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung widerspricht die Differenzierung innerhalb eines einzigen angesprochenen Verkehrskreises ("gespaltene Verkehrsauffassung") regelmäßig dem Grundsatz, dass es bei der Beurteilung der Irreführungsgefahr auf die Auffassung des durchschnittlich verständigen und vernünftigen Marktteilnehmers ankommt (zur Irreführung von Verbrauchern vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2014 - I ZR 221/12 - Original Bach-Blüten). Eine andere Beurteilung ist nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn die Sicht verschiedener Verkehrskreise zu ermitteln ist, die sich - wie etwa der allgemeine Verkehr und Fachkreise oder unterschiedliche Sprachkreise - objektiv voneinander abgrenzen lassen. Innerhalb eines einzigen Verkehrskreises (hier: gewerblichen Kundinnen und Kunden der Beklagten) scheidet eine gespaltene Verkehrsauffassung dagegen aus (zur Verwechslungsgefahr im Markenrecht vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2013 - I ZR 100/11 - AMARULA/Marulablu; BGH, Urteil vom 17.11.2014 - I ZR 114/13 - PINAR; zum lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2021 - I ZR 192/20 - Flying V).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.02.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3153
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