Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.2021 - I-20 U 83/21
Fly me to the... - Der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG beschränkt sich nicht auf Verstöße gegen internetspezifische Kennzeichnungsvorschriften oder Verstöße gegen Kennzeichnungsvorschriften im elektronischen Rechtsverkehr
UWG §§ 13 Abs. 4 Nr. 1, 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1; ZPO § 513 Abs. 2
Leitsätze:*1. Der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG beschränkt sich nicht auf Verstöße gegen internetspezifische Kennzeichnungsvorschriften oder Verstöße gegen Kennzeichnungsvorschriften im elektronischen Rechtsverkehr (Bestätigung von Senat MIR 2021, Dok. 016 = WRP 2021, 513 = GRUR 2021, 984).
2. § 513 Abs. 2 ZPO gilt in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedenfalls dann, wenn ein Hauptsacheverfahren nicht anderweitig rechtshängig ist.
3. Ist das angerufene Landgericht bei einer Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG zuständig, wonach diese Vorschrift nur bei Verstößen gegen Kennzeichnungsvorschriften im elektronischen Rechtsverkehr gilt (vgl. § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG), ist dies nicht willkürlich.
Anmerkung:
Das OLG stellt in Bezug auf die Abweichung des Landgerichts von seiner eigenen (bestätigten) Auffassung fest: "(...)(D)as Landgericht handelte im Ergebnis bei der Annahme seiner Zuständigkeit für die Verfügungsanträge (...) nicht objektiv willkürlich, auch wenn das Landgericht bei der Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG von der Auffassung des Senats, die er in dem parallelen Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 16.02.2021 (20 W 11/21) mitgeteilt hatte und an der er ausdrücklich weiterhin festhält, abgewichen ist".
Objektiv willkürlich sei ein Richterspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (m.V.a.: BVerfG vom 12.10.2009, 1 BvR 735/09; BVerfG vom 28.07.2014, 1 BvR 1925/13; jew. m.w.N.). Fehlerhafte Rechtsanwendung allein mache eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Insoweit verstehe der Senat die Ausführungen des Landgerichts Düsseldorf in dem angefochtenen Urteil dahingehend, dass es die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG n.F. nicht auf sogenannte "internetspezifische Kennzeichnungspflichten" beschränken will, sondern bei der Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG n.F. die Vorschrift des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG n.F. analog auf solche Fälle anwendet, in denen die betreffende Zuwiderhandlung tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Rechtsverkehr oder in Telemedien anknüpft. Das sei hier zumindest nicht objektiv willkürlich und entbehre nicht jeden sachlichen Grundes; u.a. werde die Auffassung des Landgerichts auch von einigen anderen Gerichten und in juristischen Aufsätzen geteilt.
Der erkennende Senat geht indes - mit entsprechender Begründung - weiter davon aus, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG nicht entgegen seinem Wortlaut einschränkend auszulegen ist. Insbesondere seien die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG nicht gegeben; eine planwidrige Regelungslücke liege gerade nicht vor (wird ausgeführt).
Für die Praxis bleibt damit die Rechtslage in Bezug auf § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG ungewiss und die Verfahrenspraxis aktuell mit Blick auf § 513 Abs. 2 ZPO dann doch einer Art "unwillkürlichen Willkür" ausgesetzt. Dies mag sich über die Zeit etwa durch Konzentrationsverordnungen - wie ab 01.01.2022 in NRW - ein wenig entschärfen oder zumindest kalkulierbarer werden. Wohl dem, der Zeit und Puste und Muße hat. Effizienz ist anders und einstweilen unbefriedigend ist es allemal. Zu verdanken ist diese Lage wohl letztlich mangelnder Schärfe und Präzision im Gesetzgebungsverfahren - die (leidliche) Konstante in diesem Prozess.
Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher, Bonn
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.12.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3143
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