Rechtsprechung // Heilmittelwerberecht
BGH, Urteil vom 05.11.2020 - I ZR 204/19
Sinupret - Zur Irreführung bei der Werbung für ein Arzneimittel, wenn die Werbeaussage dem Arzneimittel eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei der Anwendung beim Menschen beilegt
UWG § 3a; HWG § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1
Leitsätze:*1. Eine Irreführung nach § 3 Satz 1 HWG liegt unter anderem dann vor, wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben (§ 3 Satz 2 Nr. 1 HWG).
2. Mit dem im Heilmittelwerbegesetz nicht definierten Begriff der "therapeutischen Wirksamkeit" wird der therapeutische Erfolg der Wirkung eines Heilmittels auf bestimmten Anwendungsgebieten bei bestimmungsgemäßem Gebrauch beschrieben (vgl. zum Arzneimittelgesetz BVerwGE 94, 215, 217 f., während der Begriff der "Wirkungen" generell Aussagen über die tatsächlichen oder gewünschten Folgen der Anwendung von Heilmitteln im Sinne des § 1 Abs. 1 HWG, ausgenommen Neben- oder Wechselwirkungen, betrifft.
3. Auch im Heilmittelwerberecht ist für die Bestimmung des Inhalts einer Werbeaussage das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten (vgl. zu diesem Maßstab nur BGH, Urteil vom 02.10.2003 - I ZR 150/01 - Marktführerschaft) maßgeblich.
4. Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (sogenanntes "Strengeprinzip", vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2013 - I ZR 62/11 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH, Urteil vom 07.05.2015 - I ZR 29/14 - Äquipotenzangabe in Fachinformation, jeweils mwN). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (BGH, Urteil vom 06.02.2013 - I ZR 62/11 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Darüber hinaus kann es irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen (vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2013 - I ZR 62/11 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH, Urteil vom 07.05.2015 - I ZR 29/14 - Äquipotenzangabe in Fachinformation).
5. Eine Werbung, die einem Arzneimittel aus Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei einer Anwendung am Menschen beilegt (hier eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung bei der Behandlung von Patienten mit akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen), ist nach § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG irreführend und unzulässig, wenn sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, weil sie allein auf Angaben in der Fachinformation gestützt wird, wonach sich diese Wirkungen zwar bei Tests an tierischen Organismen (hier einer Rattenpfote) und außerhalb lebender Organismen (in vitro) gezeigt haben, aber bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse vorliegen.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 25.01.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3050
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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