Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 25.09.2020 - 6 U 57/20
Rechtsmissbrauch bei 240 Abmahnungen in einem Jahr - Unzulässige Serienabmahnung wegen fehlendem Hinweis auf die sogenannte OS-Plattform
UWG § 8 Abs. 4 a.F.
Leitsätze:*1. Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG a.F. ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung wegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Von einem Missbrauch ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (BGH, Urteil vom 03.03.2016 - I ZR 110/15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. m.w.N.). Weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2000 - I ZR 237/98 - Vielfachabmahner; BGH, Urteil vom 26.04.2018 - I ZR 248/16, MIR 2018, Dok. 059 - Abmahnaktion II).
2. Für die Beurteilung, ob eine Serienabmahnung von sachfremden Motiven getragen ist, kann es sprechen, dass der Abmahnende bei objektiver Betrachtung kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße hat und diese für seine Marktstellung nicht von Bedeutung ist. Das kann der Fall sein, wenn es sich - wie bei einem fehlenden Hinweis auf die Streitschlichtungsplattform der EU-Kommission (OS-Plattform) - um formale Verstöße handelt, die sich leicht im Internet ermitteln lassen und den Abmahnenden in seiner Geschäftstätigkeit nicht beeinträchtigen.
3. Rechtsmissbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG bei einer Vielzahl von Abmahnungen setzt nicht kumulativ voraus, dass kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Rechtsverfolgung besteht und die Abmahnungen im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden mit einem existenzbedrohenden Verfolgungsaufwand verbunden sind. Schon bei Vorliegen eines dieser beiden Kriterien kann Rechtsmissbrauch angenommen werden, wenn weitere Umstände hinzukommen.
4. Die hohe Zahl von Abmahnungen in einem Zeitraum von einem Jahr (hier über 240) kann ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG sein, insbesondere dann, wenn der Abmahnende nur vorbereitend und in einem sehr speziellen Segment im Wettbewerb zu den Abgemahnten steht.
Weitere gleichlaufende Parallelentscheidungen des OLG Frankfurt a.M.: Urteile vom 12.11.2020 - 6 U 210/19 (vgl. MIR 2020, Dok. 084) sowie 6 U 211/19.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 13.12.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3033
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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