Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 05.03.2020 - I ZR 32/19
Internet-Radiorecorder - Zur urheberrechtlichen ZulÀssigkeit des Anbietens und der Nutzung eines Internet-Radiorecorders
UrhG §§ 16, 53 Abs. 1 Satz 1, § 85 Abs. 1 Satz 1, § 97; Richtlinie 2001/29/EG Art. 2, Art. 5 Abs. 2 Buchst. b, Abs. 5
LeitsĂ€tze:*1. GemÀà § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG sind einzelne VervielfĂ€ltigungen eines Werkes durch eine natĂŒrliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen TrĂ€gern zulĂ€ssig, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen und soweit nicht zur VervielfĂ€ltigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugĂ€nglich gemachte Vorlage verwendet wird.
FĂŒr die Frage, wer sich gemÀà § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG als Hersteller einer VervielfĂ€ltigung auf diese Schutzschranke berufen kann, kommt es zunĂ€chst allein auf eine technische Betrachtung an. Die VervielfĂ€ltigung ist als körperliche Festlegung eines Werkes ein rein technisch-mechanischer Vorgang. Hersteller der VervielfĂ€ltigung ist daher derjenige, der diese körperliche Festlegung technisch bewerkstelligt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob er sich dabei technischer Hilfsmittel bedient, selbst wenn diese von Dritten zur VerfĂŒgung gestellt werden (BGH, Urteil vom 22.04.2009 - I ZR 216/06, MIR 2009, Dok. 173 - Internet-Videorecorder I). Erst wenn der Hersteller gemÀà § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG bestimmt worden ist und festgestellt werden kann, dass der Hersteller die VervielfĂ€ltigung im Auftrag eines Dritten angefertigt hat, ist zu prĂŒfen, ob die VervielfĂ€ltigung gemÀà § 53 Abs. 1 Satz 2 UrhG dem Auftraggeber zuzurechnen ist. Eine solche Zurechnung erfordert eine am Schutzzweck der Privilegierung des Privatgebrauchs nach § 53 Abs. 1 Satz 2 UrhG ausgerichtete normative Bewertung. Dabei ist maĂgeblich darauf abzustellen, ob der Hersteller sich darauf beschrĂ€nkt, gleichsam "an die Stelle des VervielfĂ€ltigungsgerĂ€ts" zu treten und als "notwendiges Werkzeug" des anderen tĂ€tig zu werden - dann ist die VervielfĂ€ltigung dem Besteller zuzurechnen -, oder ob er eine urheberrechtlich relevante Nutzung in einem AusmaĂ und einer IntensitĂ€t erschlieĂt, die sich mit den ErwĂ€gungen, die eine Privilegierung des Privatgebrauchs rechtfertigen, nicht mehr vereinbaren lĂ€sst - dann ist die VervielfĂ€ltigung dem Hersteller zuzuordnen ((BGH, Urteil vom 22.04.2009 - I ZR 216/06, MIR 2009, Dok. 173 - Internet-Videorecorder I). Im Rahmen dieser an normativen MaĂstĂ€ben ausgerichteten PrĂŒfung ist zudem darauf abzustellen, ob der Auftraggeber die Organisationshoheit ĂŒber das Aufnahmegeschehen hat.
2.
a) Allein der Kunde ist als Hersteller einer Privatkopie im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG anzusehen, wenn die VervielfĂ€ltigung eines MusikstĂŒcks unter Nutzung der vollstĂ€ndig automatisierten Vorrichtung des Anbieters eines Internet-Radiorecorders angefertigt wird, sofern die Programmierung der Aufzeichnung einen Vorgang auslöst, der vollstĂ€ndig automatisiert ohne (menschlichen) Eingriff von auĂen ablĂ€uft (FortfĂŒhrung von BGH, Urteil vom 22. April 2009 - I ZR 216/06, GRUR 2009, 845 Rn. 23 - Internet-Videorecorder I; Urteil vom 11. April 2013 - I ZR 152/11, GRUR 2013, 618 Rn. 11 - Internet-Videorecorder II).
b) Ob sich der Nutzer eines Internet-Radiorecorders mit Erfolg auf die Schutzschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen kann, hĂ€ngt davon ab, ob bei den im Rahmen des Internet-Radiorecorders stattfindenden VervielfĂ€ltigungen (offensichtlich) rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugĂ€nglich gemachte Vorlagen verwendet worden sind. DarĂŒber hinaus ist zu prĂŒfen, ob das Ergebnis des Dreistufentests gemÀà Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG einer Anwendung der Privatkopieschranke entgegensteht.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.06.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2990
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