Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Urteil vom 22.05.2019 - VIII ZR 182/17
eBay-Abbruchjäger - Ob das Verhalten eines Bieters auf eBay als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, bedarf einer Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände
BGB § 242
Leitsätze:*1. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und muss auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BGH, Urteil vom 12.11.2014 - VIII ZR 42/14; BGH, Urteil vom 27.04.1977 - IV ZR 143/76).
2. Für sich genommen ist es nicht zu beanstanden, dass ein Bieter sich als sogenannter Schnäppchenjäger betätigt, der bei Internetauktionen gezielt auf Waren bietet, die zu einem weit unter Marktwert liegenden Mindestgebot angeboten werden. Ebensowenig ist es missbilligenswert, wenn ein solcher Bieter sein Höchstgebot auf einen deutlich unter dem Marktwert der Ware liegenden Betrag begrenzt. Denn es macht gerade den Reiz einer solchen Internetauktion aus, dass der Bieter die Chance hat, den Auktionsgegenstand zu einem Schnäppchenpreis zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt, durch den Mechanismus des Überbietens einen für ihn vorteilhaften Preis zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 28.03.2012 - VIII ZR 244/10 BGH, Urteil vom 12.11.2014 - VIII ZR 42/14). Im Übrigen ist es der Verkäufer, der in solchen Fällen von sich aus durch die Wahl eines niedrigen Startpreises unterhalb des Marktwerts ohne Einrichtung eines Mindestpreises das Risiko eines für ihn ungünstigen Auktionsverlaufs eingegangen ist (BGH, Urteil vom 12.11.2014 - VIII ZR 42/14). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn ein Bieter sich in einer Vielzahl von Fällen solche für den Verkäufer riskanten Auktionsangebote zunutze macht, um ein für ihn günstiges "Schnäppchen" zu erzielen, weil allein die Quantität eines von der Rechtsordnung im Einzelfall gebilligten Vorgehens in der Regel nicht zu dessen Missbilligung führt.
3. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Bieters bei Internetauktionen kommt dagegen dann in Betracht, wenn seine Absicht von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrages, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist, er also den angebotenen Gegenstand gar nicht erwerben will, sondern auf den Abbruch der Auktion abzielt, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (sogenannter Abbruchjäger).
4. Bei der Beurteilung, ob das Verhalten eines Bieters auf der Internet-Plattform eBay, der an einer Vielzahl von Auktionen teilgenommen hat, als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, können abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als "Abbruchjäger" zulassen, nicht aufgestellt werden. Es hängt vielmehr von einer dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien einen solchen Schluss tragen
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.08.2019
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2930
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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