Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 29.09.2016 - I ZB 34/15
Eine Unterlassungsverpflichtung kann auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands umfassen
UWG § 8 Abs. 1 Satz 1
Leitsätze:*1.
a) Die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, ist mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasst. Dies kann die Verpflichtung beinhalten, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung des Störungszustands erforderlich ist. Danach muss ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produkts untersagt worden ist, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden.
b) Die Klärung der Frage, welche Maßnahmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands geboten sind, kann dem Vollstreckungsverfahren überlassen bleiben, wenn der Schuldner nicht bereits im Erkenntnisverfahren geltend macht, dass ihm die zur Beseitigung des Störungszustands nach Lage der Dinge erforderlichen Handlungen unmöglich oder unzumutbar sind.
2. Auch wenn die den Unterlassungsanspruch begründende Verletzungshandlung keine Dauerhandlung des Schuldners ist, kann eine Verpflichtung zur Unterlassung oder Duldung einer Handlung die Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen umfassen, wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Unterlassung oder zur Duldung nur gerecht werden kann, wenn er neben der Unterlassung oder Duldung auch Handlungen vornimmt (BGH, Urteil vom 25.01.2007 - I ZB 58/06).
3. Bei den Ansprüchen auf Unterlassung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UWG) und Beseitigung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UWG) handelt es sich um selbständige Ansprüche mit grundsätzlich unterschiedlicher Zielrichtung. Hat eine Verletzungshandlung einen andauernden rechtswidrigen Verletzungszustand hervorgerufen, bestehen jedoch beide Ansprüche nebeneinander. Der Gläubiger hat es in der Hand, ob er den einen oder den anderen Anspruch oder aber beide Ansprüche geltend macht. Er kann bei einer solchen Fallgestaltung auch bereits mit dem Unterlassungsanspruch die Beseitigung des Verletzungszustands verlangen. Bei einer Dauerhandlung ist die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands insofern gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2014 - I ZR 76/13, MIR 2015, Dok. 015 - CT-Paradies, mwN).
4. Ist der Unterlassungsschuldner zur Vornahme von Handlungen verpflichtet, kann dies auch die Verpflichtung umfassen, auf Dritte einzuwirken, um diese zu einem Tun oder einem Unterlassen anzuhalten. Dabei hat der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs zwar für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 77/12, MIR 2014, Dok. 051 - Vertragsstrafenklausel). Er ist verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist (BGH, Urteil vom 18.09.2014 - I ZR 76/13, MIR 2015, Dok. 015 - CT-Paradies).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 15.01.2017
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2797
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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