Kurz notiert // Zivilrecht
Bundesgerichtshof
Online-Banking - Beweisgrundsätze und Anscheinsbeweis bei streitigen Zahlungsaufträgen
BGH, Urteil vom 26.01.2016 – XI ZR 91/14; Vorinstanzen: LG Lübeck, Urteil vom 07.06.2013 - 3 O 418/12; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 22.01.2014 - 5 U 87/13
MIR 2016, Dok. 004, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 26.01.2016 (XI ZR 91/14) entschieden, dass § 675w Satz 3 BGB (Nachweis der Authentifizierung) die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises im Online-Banking bei Erteilung eines Zahlungsauftrags unter Einsatz der zutreffenden PIN und TAN nicht verbietet. Es müsse aber geklärt sein, dass das eingesetzte Sicherungssystem im Zeitpunkt der Vornahme des strittigen Zahlungsvorgangs im Allgemeinen praktisch unüberwindbar war und im konkreten Einzelfall ordnungsgemäß angewendet worden ist und fehlerfrei funktioniert hat. Bei einer missbräuchlichen Nutzung des Online-Bankings spreche auch kein Beweis des ersten Anscheins für ein grob fahrlässiges Verhalten des Kontoinhabers.
Zur Sache:
Die beklagte GmbH unterhielt bei der klagenden Sparkasse ein Geschäftsgirokonto, mit dem sie seit März 2011 am Online-Banking teilnahm. Der Geschäftsführer der Beklagten erhielt dazu eine persönliche Identifikationsnummer (PIN), mit der er auf das Geschäftsgirokonto zugreifen konnte. Zur Freigabe einzelner Zahlungsvorgänge wurde das smsTAN-Verfahren (Übermittlung der Transaktionsnummer durch SMS) über eine Mobilfunknummer des Geschäftsführers der Beklagten vereinbart. Nachdem es zu Störungen im Online-Banking-System der Klägerin gekommen war, wurden am 15.07.2011 aus nicht geklärten Umständen dem Geschäftskonto der Beklagten fehlerhaft Beträge von EUR 47.498,95 und EUR 191.576,25 gutgeschrieben. Die Klägerin veranlasste am 15. und 17.07.2011 entsprechende Stornierungen, die aufgrund des Wochenendes erst am Montag, dem 18.07.2011, ausgeführt wurden. Am Freitag, dem 15.07.2011, um 23:29 Uhr wurde unter Verwendung der zutreffenden PIN und einer gültigen smsTAN eine Überweisung von EUR 235.000,00 vom Konto der Beklagten zugunsten des Streithelfers der Klägerin - eines Rechtsanwalts - in das Online-Banking-System der Klägerin eingegeben. Die Überweisung wurde am Montagmorgen, dem 18.07.2011, mit dem ersten Buchungslauf ausgeführt. Da zeitgleich die fehlerhaften Gutschriften berichtigt wurden, ergab sich ein Sollbetrag auf dem Geschäftskonto der Beklagten.
Nachdem die Klägerin die Beklagte erfolglos zum Ausgleich des Kontos aufgefordert hatte, kündigte sie die Geschäftsbeziehung fristlos und fordert mit der vorliegenden Klage den Schlusssaldo von EUR 236.422,14 nebst Zinsen. Die Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen Erfolg.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Ist die Zustimmung (Autorisierung) des Kontoinhabers zu einem Zahlungsvorgang strittig, habe das ausführende Kreditinstitut (Zahlungsdienstleister) bei Verwendung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments (hier: Online-Banking-Verfahren) nach § 675w Satz 2 BGB nachzuweisen, dass dieses einschließlich seiner personalisierten Sicherheitsmerkmale (hier: PIN und smsTAN) genutzt und dies mithilfe eines entsprechenden Verfahrens überprüft worden ist. Diesen Nachweis habe die klagende Bank nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts geführt. Dies genüge aber nach § 675w Satz 3 BGB "nicht notwendigerweise", um den dem Zahlungsdienstleister obliegenden Beweis der Autorisierung des Zahlungsvorganges durch den Zahlungsdienstnutzer (hier: Kontoinhaberin) zu führen.
Es sei dabei zwar nicht ausgeschlossen, dass sich der Zahlungsdienstleister auf einen Anscheinsbeweis berufen kann. Der Wortlaut des § 675w Satz 3 BGB hindere dies nicht, da die Grundsätze des Anscheinsbeweises weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweisvermutung begründen, so der Bundesgerichtshof. Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises auf die Autorisierung eines Zahlungsvorgangs bei Verwendung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments sei aber die allgemeine praktische Sicherheit des eingesetzten Authentifizierungsverfahrens und dessen Einhaltung im konkreten Einzelfall. Zudem bedürfe die Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht zwingend der Behauptung und gegebenenfalls des Nachweises technischer Fehler des dokumentierten Authentifizierungsverfahrens durch den Kontoinhaber.
Trotz allgemein bekannt gewordener, erfolgreicher Angriffe auf Sicherheitssysteme des Online-Bankings fehle nicht in jedem Fall eine Grundlage für die Anwendung des Anscheinsbeweises, da entsprechende Erkenntnisse nicht zu allen im Online-Banking genutzten Authentifizierungsverfahren vorliegen.
Das Berufungsgericht habe diese Voraussetzungen verkannt und die notwendigen Feststellungen zur praktischen Unüberwindbarkeit des konkret eingesetzten Sicherungssystems sowie zu den zur Erschütterung eines eventuell eingreifenden Anscheinsbeweises vorgetragenen Umständen nicht getroffen.
Weiterhin finden die Grundsätze der Anscheinsvollmacht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs zulasten der Beklagten keine Anwendung. Es fehle jedenfalls an einer Erkennbarkeit des Handelns des vermeintlichen Vertreters durch den Zahlungsdienstleister sowie bei einem einmaligen Missbrauchsfall im Online-Banking an der erforderlichen Dauer und Häufigkeit des Handelns des Scheinvertreters.
Auch ein Anscheinsbeweis für eine grob fahrlässige Verletzung einer Pflicht aus § 675l BGB durch die Beklagte und damit ein Anspruch der Klägerin aus § 675v Abs. 2 BGB scheide auf Grundlage der bisherigen Feststellungen aus. Im Falle des Missbrauchs des Online-Bankings bestehe angesichts der zahlreichen Authentifizierungsverfahren, Sicherungskonzepte, Angriffe und daran anknüpfender denkbarer Pflichtverletzungen des Nutzers kein Erfahrungssatz, der auf ein bestimmtes typisches Fehlverhalten des Zahlungsdienstnutzers hinweise.
(tg) - Quelle: PM Nr. 023/2016 des BGH vom 26.01.2016
Zur Sache:
Die beklagte GmbH unterhielt bei der klagenden Sparkasse ein Geschäftsgirokonto, mit dem sie seit März 2011 am Online-Banking teilnahm. Der Geschäftsführer der Beklagten erhielt dazu eine persönliche Identifikationsnummer (PIN), mit der er auf das Geschäftsgirokonto zugreifen konnte. Zur Freigabe einzelner Zahlungsvorgänge wurde das smsTAN-Verfahren (Übermittlung der Transaktionsnummer durch SMS) über eine Mobilfunknummer des Geschäftsführers der Beklagten vereinbart. Nachdem es zu Störungen im Online-Banking-System der Klägerin gekommen war, wurden am 15.07.2011 aus nicht geklärten Umständen dem Geschäftskonto der Beklagten fehlerhaft Beträge von EUR 47.498,95 und EUR 191.576,25 gutgeschrieben. Die Klägerin veranlasste am 15. und 17.07.2011 entsprechende Stornierungen, die aufgrund des Wochenendes erst am Montag, dem 18.07.2011, ausgeführt wurden. Am Freitag, dem 15.07.2011, um 23:29 Uhr wurde unter Verwendung der zutreffenden PIN und einer gültigen smsTAN eine Überweisung von EUR 235.000,00 vom Konto der Beklagten zugunsten des Streithelfers der Klägerin - eines Rechtsanwalts - in das Online-Banking-System der Klägerin eingegeben. Die Überweisung wurde am Montagmorgen, dem 18.07.2011, mit dem ersten Buchungslauf ausgeführt. Da zeitgleich die fehlerhaften Gutschriften berichtigt wurden, ergab sich ein Sollbetrag auf dem Geschäftskonto der Beklagten.
Nachdem die Klägerin die Beklagte erfolglos zum Ausgleich des Kontos aufgefordert hatte, kündigte sie die Geschäftsbeziehung fristlos und fordert mit der vorliegenden Klage den Schlusssaldo von EUR 236.422,14 nebst Zinsen. Die Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen Erfolg.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Ist die Zustimmung (Autorisierung) des Kontoinhabers zu einem Zahlungsvorgang strittig, habe das ausführende Kreditinstitut (Zahlungsdienstleister) bei Verwendung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments (hier: Online-Banking-Verfahren) nach § 675w Satz 2 BGB nachzuweisen, dass dieses einschließlich seiner personalisierten Sicherheitsmerkmale (hier: PIN und smsTAN) genutzt und dies mithilfe eines entsprechenden Verfahrens überprüft worden ist. Diesen Nachweis habe die klagende Bank nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts geführt. Dies genüge aber nach § 675w Satz 3 BGB "nicht notwendigerweise", um den dem Zahlungsdienstleister obliegenden Beweis der Autorisierung des Zahlungsvorganges durch den Zahlungsdienstnutzer (hier: Kontoinhaberin) zu führen.
Es sei dabei zwar nicht ausgeschlossen, dass sich der Zahlungsdienstleister auf einen Anscheinsbeweis berufen kann. Der Wortlaut des § 675w Satz 3 BGB hindere dies nicht, da die Grundsätze des Anscheinsbeweises weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweisvermutung begründen, so der Bundesgerichtshof. Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises auf die Autorisierung eines Zahlungsvorgangs bei Verwendung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments sei aber die allgemeine praktische Sicherheit des eingesetzten Authentifizierungsverfahrens und dessen Einhaltung im konkreten Einzelfall. Zudem bedürfe die Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht zwingend der Behauptung und gegebenenfalls des Nachweises technischer Fehler des dokumentierten Authentifizierungsverfahrens durch den Kontoinhaber.
Trotz allgemein bekannt gewordener, erfolgreicher Angriffe auf Sicherheitssysteme des Online-Bankings fehle nicht in jedem Fall eine Grundlage für die Anwendung des Anscheinsbeweises, da entsprechende Erkenntnisse nicht zu allen im Online-Banking genutzten Authentifizierungsverfahren vorliegen.
Das Berufungsgericht habe diese Voraussetzungen verkannt und die notwendigen Feststellungen zur praktischen Unüberwindbarkeit des konkret eingesetzten Sicherungssystems sowie zu den zur Erschütterung eines eventuell eingreifenden Anscheinsbeweises vorgetragenen Umständen nicht getroffen.
Weiterhin finden die Grundsätze der Anscheinsvollmacht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs zulasten der Beklagten keine Anwendung. Es fehle jedenfalls an einer Erkennbarkeit des Handelns des vermeintlichen Vertreters durch den Zahlungsdienstleister sowie bei einem einmaligen Missbrauchsfall im Online-Banking an der erforderlichen Dauer und Häufigkeit des Handelns des Scheinvertreters.
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(tg) - Quelle: PM Nr. 023/2016 des BGH vom 26.01.2016
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 26.01.2016
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2761
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