Rechtsprechung
OLG Stuttgart
Urteil vom 24.04.2006 - Az. 1 Ss 449/05 - (Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Hyperlinks; keine Einschränkung gem. §§ 8 ff TDG. Zum Tatbestandsmerkmal des Zugänglichmachens i.S.v. § 86 StGB und zur Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3, 86a StGB. §§ 86 StGB, §§ 8ff TDG)
Leitsätze (tg):
1. Grundsätzlich haftet der Betreiber eines Internetangebots strafrechtlich für die Inhalte der mittels Link aufrufbaren Seiten sowie für die von dort
über weitere Links erreichbaren Unterseiten.
2. Eine Einschränkung der (strafrechtlichen) Verantwortlichkeit für die Vereinfachung des Zugriffs auf fremde Inhalte mittels interaktiver Verknüpfungen,
d.h. für das Setzen von sog. Hyperlinks, regeln die Vorschriften der §§ 8 ff TDG nicht. Vielmehr soll es nach dem Willen des Gesetzgebers bei der
Verantwortlichkeit des Link-Providers nach allgemeinen Regeln verbleiben.
3. Schafft jemand bewusst die Möglichkeit, dass Dritte die ihm bekannten Inhalte der problemlos erreichbaren Seiten und Unterseiten zur Kenntnis nehmen
können, ist eine Haftung grundsätzlich gegeben. Kriterien für die Feststellung der Voraussetzungen der Haftung insoweit sind die
- zwingende oder schnelle - Erreichbarkeit der verlinkten Inhalte und die Kenntnis der Verzweigungen zu weiteren Seiten sowie deren Inhalten und
Zielsetzungen.
4. Das Setzen eines direkten Links auf strafbare Inhalte erfüllt das Tatbestandsmerkmal des Zugänglichmachens im Sinne von § 86 I 3. Alt StGB regelmäßig
in der Form der Täterschaft, da mit einem Seitenaufruf verbundene Schwierigkeiten beseitigt und die Verbreitung strafbarer Inhalte wesenlich beeinflusst
werden können.
5. Ein Zugänglichmachen liegt vor, wenn eine Datei zum Lesezugriff, etwa durch einen Link, in das Internet eingestellt wird. Hierbei genügt bereits die
bloße Zugriffsmöglichkeit; ein tatsächlicher Zugriff des Internetnutzers ist nicht erforderlich.
6. Unter die staatsbürgeliche Aufklärung nach § 86 Abs. 3 StGB (Sozialadäquanzklausel) fallen Handlungen, die der Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen
Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen. In diesem
Sinne können auch Privatpersonen tätig werden.
7. Das Merkmal des Dienens verlangt, das der jeweilige Zweck zumindest überwiegend gefordert wird. Die Zwecksetzung ist hierbei objektiv zu ermitteln und
erfasst Handlungen, die sich zeitkritisch oder aufklärend für die Verfassung einsetzen oder sich in wissenschaftlicher Weise mit verafssungswidrigem
Propagandamaterial auseinandersetzen oder zu Informationszwecken wahrheitsgemäß bzw. mit erläuternder Begleitkommentierung berichten.
8. An einer von der Rechtsordnung anerkannten legitimen Zielsetzung fehlt es dann, wenn sich aus einer unkommentierten Übernahme fremder Inhalte bzw.
Internetseiten ergibt, dass sich der Linksetzer dort erhthaltene strafbare Inhalte zu eigen macht oder im wesentlichen Werbezwecke verfolgt.
MIR 2006, Dok. 057
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 01.05.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/272
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
OLG Koblenz, Beschluss vom 23.10.2017 - 9 U 895/17, MIR 2017, Dok. 042
Kartenausschnitte, Unterlassungserklärung, Wayback Machine - Zur Auslegung und Reichweite eines urheberrechtlichen Unterwerfungsvertrages
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 19.02.2024 - 3 U 2291/23, MIR 2024, Dok. 038
Energieausweis - Ein Immobilienmakler ist verpflichtet, in einer Immobilienanzeige den Energieverbrauch des Gebäudes anzugeben, wenn ein Energieausweis vorliegt
BGH, Urteil vom 05.10.2017 - I ZR 232/16, MIR 2018, Dok. 014
Early Reviewer Programm bei Amazon - Berücksichtigung vergüteter Produktrezensionen innerhalb des Gesamtbewertungsergebnisses eines Produktes unlauter
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2022, Dok. 042
Gegenstandswert im Designnichtigkeitsverfahren - Im designrechtlichen Nichtigkeitsverfahren entspricht die Festsetzung des Gegenstandswerts auf EUR 50.000,00 im Regelfall billigem Ermessen
BGH, Beschluss vom 28.05.2020 - I ZB 25/18, MIR 2020, Dok. 060