Kurz notiert // Urheberrecht
Bundesgerichtshof
Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen urheberrechtlich keine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe
BGH, Urteil vom 18.06.2015 - I ZR 14/14 - Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen; Vorinstanzen: AG Düsseldorf, Urteil vom 17.10.2013 - 57 C 12732/12, LG Düsseldorf, Urteil vom 04.04.2013 - 23 S 144/13
MIR 2015, Dok. 051, Rz. 1
1
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18.06.2015 (I ZR 14/14 - Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen) entschieden, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen (hier: Hörfunk bzw. Radio) im Allgemeinen keine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe im Sinne des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) darstellt. Eine Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller und auch recht vieler Adressaten liege insoweit nicht vor. Dies sei nach der Rechtsprechung des EuGH zur Annahme einer - vergütungspflichtigen - öffentlichen Wiedergabe aber erforderlich, so das Gericht
Zur Sache:
Klägerin ist die GEMA. Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Die GEMA ist von der VG Wort und der GVL ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (GVL) geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksendungen als Hintergrundmusik übertragen.
Die Parteien schlossen am 06.08.2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung des Repertoires der GEMA, der VG-Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung eingeräumt hat.
Der Beklagte hat der Klägerin zum 17.12.2012 die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt mit der Begründung, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15.03.2012 (C-135/10) keine öffentliche Wiedergabe darstelle.
Die Klägerin hat den Beklagten daraufhin auf Zahlung der für den Zeitraum vom 01.06.2012 bis zum 31.05.2013 geschuldeten Vergütung von EUR 113,57 in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von EUR 61,64 nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die Klägerin könne von dem Beklagten lediglich die Zahlung einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 01.06.2012 bis zum 16.12.2012 in Höhe von EUR 61,64 beanspruchen. Der Lizenzvertrag sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden.
Mit ihrer - zugelassenen - Revision begehrt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17.12.2012 bis zum 31.05.2013 entfallenden Vergütung in Höhe von EUR 51,93.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Wiedergabe von Hörfunksendungen als Hintergrundmusik in einer Zahnarztpraxis keine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe
Wegfall der Geschäftsgrundlage durch Urteil des EuGH
Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die restliche Vergütung könne nicht beansprucht werden, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden sei. Der Beklagte sei zu einer fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, weil die Geschäftsgrundlage des Lizenzvertrages durch das bezeichnete Urteil des EuGH vom 15.03.2012 entfallen sei.
Die Parteien hatten den Lizenzvertrag am 06.08.2003 in der damals noch zutreffenden Annahme geschlossen, dass die Rechtsprechung in der Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG sieht, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 22 Satz 1 Fall 1 UrhG) und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG), so der BGH.
Nunmehr: Keine Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl vieler potentieller Adressaten, keine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe
Dem Urteil EuGH vom 15.03.2012 sei zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums jedenfalls voraussetzt, dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt. Der EuGH habe mit diesem Urteil ferner entschieden, dass diese Voraussetzungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksendungen als Hintergrundmusik wiedergibt.
Bindung an die Rechtsprechung des EuGH
Der Bundesgerichtshof ist an die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH gebunden und hat die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen. Da der nunmehr zu beurteilende Sachverhalt darüber hinaus in allen wesentlichen Punkten mit dem Sachverhalt übereinstimme, der dem EuGH bei seiner Entscheidung vorgelegen hatte, hat der BGH daher entschieden, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen im Allgemeinen - und so auch im entschiedenen Fall - nicht öffentlich und damit auch nicht vergütungspflichtig ist.
(tg) - Quelle: PM Nr. 101/2015 des BGH vom 18.06.2015
Zur Sache:
Klägerin ist die GEMA. Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Die GEMA ist von der VG Wort und der GVL ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (GVL) geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksendungen als Hintergrundmusik übertragen.
Die Parteien schlossen am 06.08.2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung des Repertoires der GEMA, der VG-Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung eingeräumt hat.
Der Beklagte hat der Klägerin zum 17.12.2012 die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt mit der Begründung, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15.03.2012 (C-135/10) keine öffentliche Wiedergabe darstelle.
Die Klägerin hat den Beklagten daraufhin auf Zahlung der für den Zeitraum vom 01.06.2012 bis zum 31.05.2013 geschuldeten Vergütung von EUR 113,57 in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von EUR 61,64 nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die Klägerin könne von dem Beklagten lediglich die Zahlung einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 01.06.2012 bis zum 16.12.2012 in Höhe von EUR 61,64 beanspruchen. Der Lizenzvertrag sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden.
Mit ihrer - zugelassenen - Revision begehrt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17.12.2012 bis zum 31.05.2013 entfallenden Vergütung in Höhe von EUR 51,93.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Wiedergabe von Hörfunksendungen als Hintergrundmusik in einer Zahnarztpraxis keine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe
Wegfall der Geschäftsgrundlage durch Urteil des EuGH
Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die restliche Vergütung könne nicht beansprucht werden, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden sei. Der Beklagte sei zu einer fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, weil die Geschäftsgrundlage des Lizenzvertrages durch das bezeichnete Urteil des EuGH vom 15.03.2012 entfallen sei.
Die Parteien hatten den Lizenzvertrag am 06.08.2003 in der damals noch zutreffenden Annahme geschlossen, dass die Rechtsprechung in der Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG sieht, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 22 Satz 1 Fall 1 UrhG) und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG), so der BGH.
Nunmehr: Keine Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl vieler potentieller Adressaten, keine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe
Dem Urteil EuGH vom 15.03.2012 sei zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums jedenfalls voraussetzt, dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt. Der EuGH habe mit diesem Urteil ferner entschieden, dass diese Voraussetzungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksendungen als Hintergrundmusik wiedergibt.
Bindung an die Rechtsprechung des EuGH
Der Bundesgerichtshof ist an die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH gebunden und hat die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen. Da der nunmehr zu beurteilende Sachverhalt darüber hinaus in allen wesentlichen Punkten mit dem Sachverhalt übereinstimme, der dem EuGH bei seiner Entscheidung vorgelegen hatte, hat der BGH daher entschieden, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen im Allgemeinen - und so auch im entschiedenen Fall - nicht öffentlich und damit auch nicht vergütungspflichtig ist.
(tg) - Quelle: PM Nr. 101/2015 des BGH vom 18.06.2015
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 19.06.2015
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2718
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Online seit: 19.06.2015
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2718
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Was Sie noch interessieren könnte...
Die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, umfasst regelmäßig auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands
BGH, Beschluss vom 11.10.2017 - I ZB 96/16, MIR 2018, Dok. 022
mk advokaten GbR - Zur "Benutzung" im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG und zur Zurechnung von selbständigen Handlungen Dritter, die auf einen Verletzungstatbestand folgen
EuGH, Urteil vom 02.07.2020 - C-684/19, MIR 2020, Dok. 058
Arzneimittelbestelldaten II - Die Verarbeitung von Arzneimittel-Bestelldaten ohne ausdrückliche Einwilligung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO stellt einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung gemäß § 3a UWG dar
BGH, Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 223/19, MIR 2025, Dok. 027
Verfügbare Telefonnummer - Die Nichtangabe einer (verfügbaren) Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung ist geeignet die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen
BGH, Urteil vom 24.09.2020 - I ZR 169/17, MIR 2020, Dok. 090
Himalaya KönigsSalz - Zur Irreführung wegen einer (unzutreffenden) geografischen Herkunftsbezeichnung bei dem Angebot eines Steinspeisesalzes
OLG Köln, Urteil vom 08.04.2022 - 6 U 162/21, MIR 2022, Dok. 031
BGH, Beschluss vom 11.10.2017 - I ZB 96/16, MIR 2018, Dok. 022
mk advokaten GbR - Zur "Benutzung" im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG und zur Zurechnung von selbständigen Handlungen Dritter, die auf einen Verletzungstatbestand folgen
EuGH, Urteil vom 02.07.2020 - C-684/19, MIR 2020, Dok. 058
Arzneimittelbestelldaten II - Die Verarbeitung von Arzneimittel-Bestelldaten ohne ausdrückliche Einwilligung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO stellt einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung gemäß § 3a UWG dar
BGH, Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 223/19, MIR 2025, Dok. 027
Verfügbare Telefonnummer - Die Nichtangabe einer (verfügbaren) Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung ist geeignet die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen
BGH, Urteil vom 24.09.2020 - I ZR 169/17, MIR 2020, Dok. 090
Himalaya KönigsSalz - Zur Irreführung wegen einer (unzutreffenden) geografischen Herkunftsbezeichnung bei dem Angebot eines Steinspeisesalzes
OLG Köln, Urteil vom 08.04.2022 - 6 U 162/21, MIR 2022, Dok. 031