Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 10.03.2014 - I ZR 43/13
nickelfrei - Zum konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen einem Lizenzgeber und dem Anbieter oder Vertreiber von dem lizenzierten Schutzrecht entsprechenden Produkten
UWG § 2 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:*1. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG besteht, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2002 - I ZR 281/99 - Vanity-Nummer; BGH, Urteil vom 20.05.2009 - I ZR 218/07, MIR 2009, Dok. 170 - E-Mail-Werbung II; BGH, Urteil vom 28.09.2011 - I ZR 93/10 - Poker im Internet; BGH, Urteil vom 17.10.2013 - I ZR 173/12, MIR 2014, Dok. 040 - Werbung für Fremdprodukte).
2. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis setzt nicht voraus, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe tätig sind. Voraussetzung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses ist aber auch bei auf unterschiedlichen Vertriebsstufen tätigen Parteien im Regelfall, dass diese versuchen, gleichartige Waren oder Dienstleistungen (letztlich) innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 26.11.1992 - I ZR 108/91 - Neu nach Umbau; BGH, Urteil vom 23.04.1998 - I ZR 2/96 - Preisvergleichsliste II; BGH, Urteil vom 15.07.1999 - I ZR 44/97 - EG-Neuwagen I; BGH, Urteil vom 29.04.2010 - I ZR 99/08, MIR 2010, Dok. 158 - Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; BGH, Urteil vom 08.03.2012 - I ZR 202/10, MIR 2012, Dok. 041 - Marktführer Sport).
4. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis setzt nicht voraus, dass die Parteien der gleichen Branche angehören. Da es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung regelmäßig nur um die konkret beanstandete Wettbewerbshandlung geht, genügt es, dass das Wettbewerbsverhältnis erst durch diese Wettbewerbshandlung begründet worden ist, auch wenn die Parteien unterschiedlichen Branchen angehören. Voraussetzung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses ist aber auch in einem solchen Fall, dass die unterschiedlichen Branchen angehörenden Parteien mit der konkret beanstandeten Wettbewerbshandlung versuchen, gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.1989 - I ZR 3/88 - Steuersparmodell: Entwurf und Angebot von Steuersparmodellen durch Steuerberater einerseits und Vertrieb von Immobilien andererseits; BGH, Urteil vom 13.07.2006 - I ZR 241/03 - Kontaktanzeigen: Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten zur Durchführung sexueller Kontakte durch Barbesitzer einerseits und Prostituierte andererseits; BGH, Urteil vom 03.05.2007 - I ZR 19/05 - Rechtsberatung und Haftpflichtversicherer: Erteilung von Hinweisen an Geschädigte, wie sie sich im Verhältnis zu einem Sachverständigen verhalten sollen, durch Rechtsanwälte einerseits und Haftpflichtversicherer andererseits).
5. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann bestehen, wenn der Verletzer sich durch eine Gleichstellungsbehauptung an den Ruf der fremden Ware anhängt und diesen für den Absatz seiner Waren auszunutzen sucht (BGHZ 93, 96, 97 f. - DIMPLE; BGH, Urteil vom 04.06.1987 - I ZR 109/85 - Ein Champagner unter den Mineralwässern). Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann ferner vorliegen, wenn der Verletzer eine Ware oder Dienstleistung als Substitut der Ware oder Dienstleistung des Betroffenen anbietet (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.1972 - I ZR 60/70 - Statt Blumen ONKO-Kaffee; BGH, Urteil vom 24.06.2004 - I ZR 26/02 - Werbeblocker; BGH, Urteil vom 22.04.2009 - I ZR 216/06, MIR 2009, Dok. 173 - Internet-Videorecorder I).
6. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht nicht nur dann, wenn zwei Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen. Es besteht vielmehr auch dann, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Danach besteht regelmäßig ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, wenn die eine Partei als Inhaber eines Schutzrechts oder als Inhaber von ausschließlichen Nutzungsrechten an einem Schutzrecht die Herstellung oder den Vertrieb eines von diesem Schutzrecht erfassten Produktes lizenziert und die andere Partei dem Schutzrecht entsprechende Produkte anbietet oder vertreibt.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 15.10.2014
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2640
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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