Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 18.06.2014 - I ZR 242/12
Geschäftsführerhaftung - Zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für einen Wettbewerbsverstoß der Gesellschaft
UWG § 8 Abs. 1
Leitsätze:*1. Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15.08.2013 - I ZR 80/12, MIR 2013, Dok. 058 - File-Hosting-Dienst, mwN). Für Fälle des sogenannten Verhaltensunrechts, um die es bei Wettbewerbsverstößen geht und in denen keine Verletzung eines absoluten Rechts in Rede steht, kann die Passivlegitimation dagegen allein nach den deliktsrechtlichen Kategorien der Täterschaft und Teilnahme begründet werden (BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, MIR 2010, Dok. 177 - Kinderhochstühle im Internet I; BGH, Urteil vom 12.07.2012 - I ZR 54/11 - Solarinitiative).
2. Die Frage, ob sich jemand als Täter (oder Teilnehmer) in einer die zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an der deliktischen Handlung eines Dritten beteiligt hat, beurteilt sich nach den im Strafrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen (BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, MIR 2010, Dok. 177 - Kinderhochstühle im Internet I; BGH, Urteil vom 22.06.2011 - I ZR 159/10 - Automobil-Onlinebörse). Täter ist danach derjenige, der die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB).
3. Der Geschäftsführer haftet für einen Wettbewerbsverstoß der von ihm vertretenen Gesellschaft, wenn er die Rechtsverletzung selbst begangen oder in Auftrag gegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 19.06.1963 - Ib ZR 15/62 - Verona-Gerät; BGH, Urteil vom 23.05.1985 - I ZR 18/83 - Landesinnungsmeister).
4. Ein Unterlassen kann positivem Tun nur gleichgestellt werden, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Erforderlich ist eine Garantenstellung, die ihn verpflichtet, den deliktischen Erfolg abzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.1989 - VI ZR 335/88; BGH, Urteil vom 10.07.2012 - VI ZR 341/10). Eine Garantenstellung kann sich aus vorhergehendem gefährdenden Tun (Ingerenz), Gesetz, Vertrag oder der Inanspruchnahme von Vertrauen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 06.04.2000 - I ZR 67/98 - Neu in Bielefeld I; BGH, Urteil vom 12.01.2010 - 1 StR 272/09). Sie muss gegenüber dem außenstehenden Dritten bestehen, der aus der Verletzung der Pflicht zur Erfolgsabwendung Ansprüche herleitet.
5.
a) Der Geschäftsführer haftet für unlautere Wettbewerbshandlungen der von ihm vertretenen Gesellschaft nur dann persönlich, wenn er daran entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er die Wettbewerbsverstöße aufgrund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen.
b) Allein die Organstellung und die allgemeine Verantwortlichkeit für den Geschäftsbetrieb begründen keine Verpflichtung des Geschäftsführers gegenüber außenstehenden Dritten, Wettbewerbsverstöße der Gesellschaft zu verhindern.
c) Der Geschäftsführer haftet allerdings persönlich aufgrund einer eigenen wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht, wenn er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt hat.
6. Die schlichte Kenntnis des Geschäftsführers von Wettbewerbsverletzungen scheidet als haftungsbegründender Umstand aus. Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich, dass der Wettbewerbsverstoß auf einem Verhalten beruht, das nach seinem äußeren Erscheinungsbild und mangels abweichender Feststellungen dem Geschäftsführer anzulasten ist (vgl. dazu beispielhaft auch BGH, Urteil vom 30.06.2011 - I ZR 157/10, MIR 2011, Dok. 099 - Branchenbuch Berg; BGH, Urteil vom 17.08.2011 - I ZR 108/09 - TÜV II; BGH, Urteil vom 19.04.2012 - I ZR 86/10, MIR 2012, Dok. 046 - Pelikan).
Erlangt der Geschäftsführer lediglich Kenntnis davon, dass bei der unter seiner Leitung stehenden Geschäftstätigkeit Wettbewerbsverstöße begangen werden oder ihre Begehung bevorsteht, trifft ihn persönlich regelmäßig auch keine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht im Verhältnis zu außenstehenden Dritten, eine (weitere) Verletzung durch das Wettbewerbsrecht geschützter Interessen von Marktteilnehmern zu verhindern.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 23.07.2014
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2617
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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