Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 17.11.2009 - VI ZR 226/08
Verbreiterhaftung von Presseorganen - Zum Schutz der Meinungsfreiheit bei Verbreitung fremder Äußerungen in einem Interview.
BGB § 823; GG Art. 5 Abs. 1, 2
Leitsätze:*1. Die Frage, ob sich ein Presseorgan undistanziert wiedergegebene, fremde Äußerungen zu Eigen macht ist im Interesse der Meinungsfreiheit
und zum Schutz der Presse mit Zurückhaltung zu prüfen. Insoweit kann sich bereits aus der äußeren Form einer Veröffentlichung ergeben, dass
lediglich fremde Äußerungen ohne eigene Wertung oder Stellungnahme mitgeteilt werden (vgl. BVerfG, 30.09.2003 - Az. 1 BvR 865/00); so etwa im
Fall des Abdrucks einer Presseschau (BVerfG, WM 2009, 1706) oder für den Fall der Veröffentlichung eines klassisch in Frage und Antwort gegliederten
Interviews (BGHZ, 132, 13; LG Düsseldorf, AfP 1999, 518). Ein Zu-Eigen-Machen liegt demgegenüber regelmäßig vor, wenn die fremde Äußerung so
in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint (vgl. BGHZ 66, 182;
BGH, Urteil vom 30.06.2009 - VI ZR 210/08, MIR 2009, Dok. 167 zur Störerhaftung des Domainverpächters).
oder auch im Rahmen eines Interviews eigene Tatsachenbehauptungen des Fragenden in den Raum gestellt werden, neben denen die Antworten des Interviewten nur noch lediglich als
Beleg für Richtigkeit wirken (OLG Hamburg, AfP 1983, 412).
2. Ein Presseorgan macht sich ehrenrührige Äußerungen eines Dritten in einem Interview nicht schon dadurch zu Eigen, dass es sich nicht ausdrücklich
davon distanziert. Bereits durch die Form der Darstellung, entsprechende Hinweise sowie die Gliederung in Frage und Antwort unter Voranstellung
des Namens machen regelmäßig offenkundig, dass der Verbreiter nur als bloßer Vermittler der Äußerungen auftritt und die gegebenenfalls in den Antworten
enthaltenen rechtsverletzenden Aussagen Dritter nicht als eigene verbreitet.
3. Zwar ist die Presse in weiterem Umfang als Private gehalten, Nachrichten und Behauptungen vor ihrer Wiedergabe auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen
(BGHZ, 132, 13; BVerfGE 12, 113; BVerfGE 85, 1; BVerfG, Beschluss vom 26.08.2003 - Az. 1 BvR 2243/02). Hieraus folgt indes im Fall der
Verbreitung fremder Tatsachenbehauptungen keine uneingeschränkte Verbreiterhaftung der Presse. Vielmehr dürfen die der Presse insoweit aufzuerlegenden
Sorgfaltspflichten nicht zu überspannt und die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte freie Kommunikationsprozess nicht eingeschnürt werden
(BVerfG, Beschluss vom 26.08.2003 - Az. 1 BvR 2243/02).
4. Zum Schutz der Meinungsfreiheit bei Verbreitung fremder Äußerungen in einem Interview.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 24.12.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2097
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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