Rechtsprechung
Hanseatisches OLG, Urteil vom 04.02.2009 - 5 U 180/07
Störerhaftung des Forenbetreibers - Der Betreiber eines Internet-Meinungsforums ist grundsätzlich nicht zur vorbeugenden Überprüfung jedes Beitrags auf etwaige Rechtsverletzungen verpflichtet. Keine Kostenerstattung für erst kenntnisbegründende Abmahnung gegenüber möglichem Störer.
UrhG §§ 19a, 97 Abs. 1, 97a; BGB §§ 670, 677, 683 Satz 1; TMG §§ 2 Nr. 1, 7 Abs. 1, §§ 10, 13 Abs. 6
Leitsätze:*1. Derjenige, der ein zulässiges Geschäftsmodell im Internet verfolgt (hier: Betrieb eines Meinungsforums) ist
nicht zur vorsorglichen Überprüfung sämtlicher dort eingestellter Inhalte auf etwaige Rechtsverletzungen verpflichtet
(vgl. dazu BGH Urteil vom 11.03.2004 - Az. I ZR 304/01 - Internetversteigerung I, MIR 2005, Dok. 010). Eine solche Pflicht würde die Überwachungspflichten des Betreibers eines Internet-Meinungsforums überspannen und die
Presse- und Meinungsfreiheit - unter deren Schutz grundsätzlich auch Internetforen stehen - verletzen.
(so auch: Hanseatisches OLG, Urteil vom 22.08.2006 - Az. 7 U 50/06, MIR 2006, Dok. 139;
ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.06.2006 - Az. I-15 U 21/06, MIR 2006, Dok. 081).
Jedenfalls die vorbeugende Kontrolle stark frequentierter Internetforen ist deren Betreibern nicht zuzumuten und würde den
Betrieb solcher Foren faktisch unmöglich machen (vgl. LG München I, Urteil vom 08.12.2005 - Az. 7 O 16341/05,
MIR 2006, Dok. 020). Dies gilt umso mehr, als es dem Betreiber
bei der Veröffentlichung von Bildern praktisch nicht möglich sein wird, sichere Erkenntnisse über die Rechteinhaberschaft der jeweiligen Nutzer zu erlangen.
2. Die Haftung des Betreibers eines Internetforums als Störer (hier: für Urheberrechtsverletzungen) kommt nicht bereits deshalb in Betracht, weil er den Nutzern die Möglichkeit einräumt, Beiträge bzw.
Bilder in Beiträge einzustellen. Dies gilt jedenfalls, soweit nicht bereits die in den betreffenden Foren behandelten Themen
nahelegen, dass rechtsverletzende Inhalte bzw. Bilder veröffentlicht werden.
3. Ein anonym oder unter einem Pseudonym nutzbares Internetforum stellt ein grundsätzlich zulässiges und auch übliches Geschäftsmodell dar und
steht unter dem Schutz der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit. Die anonyme Nutzung des Internets ist ausdrücklich geschützt (mit Verweis auf § 13 Abs. 6 TMG). Vorbeugende Maßnahmen gegen etwaige Rechtsverletzungen können dem Forenbetreiber auch insoweit nur im Rahmen des Zumutbaren abverlangt werden.
4. Die Kosten einer erst kenntnisbegründenden Abmahnung gegenüber einem möglichen Störer (hier: Betreiber eines Internet-Meinungsforums)
sind nicht nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB bzw. § 97a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 UrhG erstattungsfähig.
Die insoweit erste Information über eine Rechtsverletzung hat grundsätzlich der Abmahnende zu tragen, da diese Maßnahme allein in seinem
Interesse liegt, um den Abgemahnten ggf. bei künftigen Folgeverstößen als Störer in Anspruch nehmen zu können.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 23.03.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1908
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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