Rechtsprechung
OLG Düsseldorf
Urteil vom 7.06.2006 - Az. I-15 U 21/06 - (Eine allgemeine Pflicht, die zahlreichen in einem Internetforum existierenden Diskussionsforen mit tausenden von Beiträgen auf möglicherweise rechtswidrige Inhalte hin zu überwachen, trifft den Forenbetreiber nicht. Haftung des Forenbetreibers für ihm fremde, rechtswidrige Inhalte erst ab Kenntnis. Zum Umfang der dem Diensteanbieter obliegenden Prüfungspflichten und zur Beweislastverteilung im Bereich der Forenhaftung. §§ 2 Abs. 4 Nr. 3, 8 Abs. 2 Satz 2, 9,11 TDG.)
Leitsätze (tg):
1. Gem. § 2 Abs. 4 Nr. 3 TDG findet der Mediendienste-Staatsvertrag Anwendung, soweit bei bestimmten Telediensten die redaktionelle Gestaltung zur
Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht. Diese setzt voraus, dass verschiedene Informationen oder Meinungen
mit Blick auf den potentiellen Empfänger gesammelt, aufbereitet und als einheitliches Produkt präsentiert werden. Bei einem
(privat und nicht kommerziell betriebenen) Internetforum fehlt es grundsätzlich an einer solchen redaktionellen Gestaltung.
2. Der Forenbetreiber als Teledienstanbieter ist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 TDG der allgemeinen Störerhaftung auch für fremde Inhalte, die er sich nicht zu
eigen gemacht hat, unterworfen und kann sich im Bezug auf Unterlassungsansprüche nicht auf die Regelungen der §§ 9-11 TDG -
insbesondere nicht auf die Haftungsprivilegierung des § 11 TDG - berufen.
3. Insbesondere auf die Verletzung von Immaterialgüterrechten sind die Grundsätze der Störerhaftung uneingeschränkt anzuwenden. Hierfür ist ausreichend,
dass die Herbeiführung der Störung gefördert wird; ein Handeln aus eigenem Antrieb ist für die Störerhaftung ebenso wenig erforderlich, wie ein
Einfluss auf den Inhalt der Äußerung. Diese Grundsätze gelten im Besonderen für den Forumsbetreiber (als sog. Host-Provider), der durch die
Eröffnung eines Forums die Möglichkeit bietet, Inhalte zu platzieren, zu verbreiten und von diesen Kenntnis zu nehmen.
4. Die Störerhaftung setzt voraus, dass der Störer ihm obliegende Prüfungspflichten verletzt hat, wobei hier zu beachten ist, dass dem Diensteanbieter
gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 TDG keine allgemeinen Überwachungs- und Forschungspflichten dahingehend treffen, ob rechtswidrige Inhalte überhaupt vorhanden
sind.
5. Eine allgemeine Pflicht, die zahlreichen in einem Internetforum existierenden Diskussionsforen mit tausenden von Beiträgen auf möglicherweise
rechtswidrige Inhalte hin zu überwachen, trifft den Forenbetreiber nicht, da dies den Betreiber eines Forums in technischer, persönlicher und
wirtschaftlicher Hinsicht schlicht überfordern und das Betreiben von Internetforen letztlich wegen der sich aus einer solchen Überwachungspflicht
ergebenden Haftungsrisiken unmöglich würde. Dies gilt für professionelle und im Besonderen für private, nicht professionelle Forenbetreiber.
6. Der Umfang der dem Diensteanbieter obliegenden Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den
Umständen des Falles eine Prüfung zuzumuten ist. Hierbei sind die betroffenen Rechtsgüter, der zu betreibene Aufwand und der zu erwartende Erfolg
in die vorzunehmende Abwägung einzubeziehen, wobei der Diensteanbieter sich weder von vorneherein auf den erheblichen Aufwand berufen kann noch jede
Rechtsverletzung einen immensen Kontrollaufwand erfordern muss. Es ist vielmehr maßgeblich, inwieweit es dem Störer (Diensteanbieter) technisch und
wirtschaftlich möglich und zumutbar ist, die Gefahren von Rechtsverletzungen zu vermeiden, welche Vorteile der Diensteanbieter aus seinen Diensten
zieht, welche berechtigten Sicherheitserwartungen der betroffene Verkehrskreis hegen darf, inwieweit Risiken vorhersehbar sind und welche
Rechtsgutsverletzungen drohen.
7. Insbesondere einem nicht professionellen, privaten Forenbetreiber, der von seiner Betreibertätigkeit nicht wirtschaftlich profitiert, ist es
wirtschaftlich unzumutbar Mitarbeiter in ausreichender Zahl zu beschäftigten, die das gesamte Forum (hier mit zahlreichen Disskussionsforen und
tausenden von Einträgen) überwachen.
8. Die Sperrung der IP-Nummern ist aufgrund der tatsächlichen Umgehungsmöglichkeiten nicht geeignet weitere Rechtsverletzungen zu vermeiden.
Ebenso ist die Sperrung von Pseudonymen praktisch ungeeignet weitere Rechtsverletzungen zu vermeiden, da Pseudonyme leicht gewechselt werden können.
Weiterhin ist eine Suche nach bestimmten Kennworten zwar technisch ohne großen Aufwand realisierbar und für den Fall von Markenverletzungen auch
sinnvoll. Im Fall von Persönlichkeitsrechtsverletzungen jedoch, ist die Suche nach bestimmten Schlüsselwörtern aufgrund der vielfältigen
Möglichkeiten, Äußerungen z.B. ehrverletzend zu formulieren ohne großen praktischen Sinn.
9. Der Anspruchsteller (Verletzte) muss darlegen und glaubhaft machen, dass der Störer (Forumsbetreiber) Kenntnis von Äußerungen hatte und wann dieser
die Kenntnis erlangt hat. Denn ohne Kenntnis ist der Störer (Forumsbetreiber) nicht zur Löschung verpflichtet und kann deshalb nicht wegen Unterlassens der
Löschung in Anspruch genommen werden. Die Erlangung der Kenntnis gehört insoweit zum anspruchsbegründenden Tatbestand.
10. Demjenigen, der wegen ehrverletzender Äußerungen in einem Internetforum gegen den vom Autor personenverschiedenen Forenbetreiber
Unterlassungsansprüche geltend machen will, ist zuzumuten, das Forum zumindest bis zu dem Zeitpunkt zu beobachten, bis er den Forenbetreiber auf
ehrverletzende Äußerungen hingewiesen hat. Befinden sich die Äußerungen zum Zeitpunkt des Hinweises (z.B. Abmahnung) nicht mehr im Forum, kann die
Verpflichtung zur Löschung des Beitrags denknotwendigerweise auch nicht mehr bestehen.
11. Die Beweislast für die Erfüllung der einmal entstandenen Löschungspflicht - als anspruchsvernichtende Tatsache - liegt aus praktischen
und dogmatischen Gründen beim Forenbetreiber. Denn diesem ist es ohne Weiteres möglich, den Löschzeitpunkt zu dokumentieren und
gegebenenfalls zu beweisen.
MIR 2006, Dok. 081
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 16.06.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/296
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