Rechtsprechung
LG Bonn, Urteil vom 26.05.2008 - 6 S 278/07
"Gegenstand unserer Beauftragung ist die ... im Klassenzimmer der Schulklasse 3b ... getätigte Äußerung" - Zum materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch der Eltern eines persönlich abgemahnten achtjährigen Kindes wegen aufgewendeter Rechtsanwaltskosten für dessen Rechtsverteidigung.
BGB § 823 Abs. 1, §§ 1626, 1666 Abs. 1; StGB § 19
Leitsätze:*1. Die Kosten, die für die Rechtsverteidigung aufgewendet werden, können dann von dem Anspruchsteller ersetzt verlangt
werden, wenn mit der Geltendmachung der von ihm erhobenen Ansprüche eine unerlaubte Handlung einhergeht und die
Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH NJW 1986, 2244; BGH NJW 1990, 2060;
BGH NJW 2004, 444; BGH NJW 2006, 1065; BGH NJW. 2006, 1458).
2. Mit einer anwaltlichen Abmahnung gegenüber einem minderjährigen Kind (hier: acht Jahre) kann ein Eingriff in dessen allgemeines
Persönlichkeitsrecht verbunden sein, § 823 Abs. 1 BGB. Geschützt ist insoweit das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner
personalen und sozialen Identität sowie die Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit, wobei bei Kindern zusätzlich das Recht
auf ungestörte Entwicklung der Persönlichkeit hinzutritt (vgl. BGHZ 24, 72; BVerfG NJW 2000, 2191).
3. Die anwaltliche Abmahnung gegenüber einem achtjährigen Kind, in der dem Kind vorgeworfen wird, eine strafrechtlich
relevante Äußerung getätigt zu haben und für den Fall nicht fristgemäßer Reaktion die Einleitung gerichtlicher Schritte
in Aussicht gestellt wird, ist objektiv geeignet, die persönliche Entwicklung eines Achtjährigen nachhaltig negativ zu beeinflussen.
4. Der Vorwurf einer Straftat mit der gleichzeitigen Androhung gerichtlicher Schritte gegenüber einem acht Jahre alten
Kind verletzt den Wert- und Achtungsanspruch seiner Persönlichkeit und ist mit Rücksicht darauf, dass er in einem
anwaltlichen Schreiben enthalten ist, derart gravierend, dass er als Störung der Persönlichkeitsentwicklung zu qualifizieren ist.
Dies gilt umso mehr, als ein Kind unter 14 Jahren sich mit Rücksicht auf § 19 StGB nicht in strafrechtlich relevanter Weise
verhalten haben kann. Gleiches gilt, soweit ein minderjähriges Kind als Adressat einer Abmahnung gewählt, ihm die Abgabe
einer eigenen Unterlassungserklärung abverlangt wird und sich auch hierauf die angekündigte Einleitung gerichtlicher Schritte
bezieht.
5. Zum Schutz von Minderjährigen ist auch dann, wenn die Abmahnung nicht als Willenserklärung, sondern nur als
rechtsgeschäftliche Handlung angesehen wird, diese an den gesetzlichen Vertreter als Adressaten zu richten
(vgl. OLG München, Beschluss vom 28.09.2001 - Az. 29 W 2398/01 m.w.N.).
6. Bei einer Unterlassungserklärung handelt es sich nicht um ein so genanntes neutrales Geschäft, weil ein solches
dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Schutzbedürfnis des Minderjährigen nicht besteht. Die Abgabe einer Unterlassungserklärung
ist nicht lediglich rechtlich vorteilhaft.
7. Der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch für Rechtsanwaltskosten wegen der Abwehr von Ansprüchen kommt nicht
nur im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen der culpa in contrahendo, der positiven Vertragsverletzung (§§ 280, 311 BGB),
deliktischen Vorschriften (§§ 823, 826 BGB) oder der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 ff. BGB) in Betracht, sondern auch dann,
wenn der in Anspruch Genommene im Einzelfall besonders schutzwürdig ist. Dies ist bei einem achtjährigen Kind, das
sich einem mit anwaltlicher Hilfe erhobenen Vorwurf und Anspruch ausgesetzt sieht, der Fall.
8. Es kann Eltern im Rahmen ihrer nach § 1626 BGB bestehenden elterlichen Sorge nicht zugemutet werden, abzuwarten, ob
ihr minderjähriges Kind - das zum Adressaten einer Abmahnung gemacht wurde - durch den Abmahnenden mit gerichtlicher
Hilfe in Anspruch genommen wird. Mit Blick auf § 1666 Abs.1 BGB (Abwendung der Gefährdung durch Dritte) ist die eigene
Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Wahrung der Interessen des Kindes aus Gründen der Waffengleichheit geboten und
letztlich auch nicht unzweckmäßig.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 24.08.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1726
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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