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BGH, Urteil vom 28.06.2007 - I ZR 132/04
INTERCONNECT/T-InterConnect - Ein Bestandteil, der in einem zusammengesetzten Zeichen neben einem Stammbestandteil die konkrete Ware oder Dienstleistung bezeichnet, kann auch bei geringer Kennzeichnungskraft über eine selbständig kennzeichnende Stellung verfügen.
MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:*1. Ein Bestandteil (hier: InterConnect), der in einem zusammengesetzten Zeichen (hier: T-InterConnect)
neben einem Stammbestandteil (hier: T-) die konkrete Ware oder Dienstleistung bezeichnet,
kann auch bei geringer Kennzeichnungskraft über eine selbständig kennzeichnende Stellung verfügen.
Stimmt dieser Bestandteil mit einem älteren Zeichen überein, kann dies zu einer
Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne führen.
2. Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr i.S. des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht
zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten
Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so dass ein geringerer
Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der
Zeichen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt
(BGH, Beschluss vom 22.09.2005 - Az. I ZB 40/03 - coccodrillo; BGHZ 167, 322 Tz. 16 - Malteserkreuz).
3. Der Verkehr orientiert sich bei einer komplexen Wort-/Bildmarke erfahrungsgemäß an dem Wortbestandteil,
wenn (so vorliegend) der Bildbestandteil keine ins Gewicht fallende grafische Gestaltung aufweist
(vgl. BGHZ 167, 322 Tz. 30 - Malteserkreuz). Ein rein beschreibende Wortbestandteil (hier: "Ges. für Datenkommunikation
mbH") hat gleichfalls keine Kennzeichnungskraft.
4. Handelt es sich bei dem allein kennzeichnende Bestandteil eines Zeichens (hier: "INTERCONNECT") um ein in der
deutschen Sprache nicht vorhandenes Fantasie- und Kunstwort, das einen eigenschöpferischen Gehalt besitzt,
kann trotz beschreibender Anlehnung (hier: an Netzdienstleistungen; "Inter" für "zwischen" oder als abkürzende
Anspielung auf "international" sowie "Connect" für "Verbindung/verbinden") jedenfalls geringe originäre
Kennzeichnungskraft vorliegen. Eine rein beschreibende Angabe ohne Kennzeichnungskraft liegt dann nicht vor,
sondern nur ein beschreibender Anklang, aus dem der Verkehr keine klare, umfassende und erschöpfende Zuordnung
etwa zu den konkreten Dienstleistungen herleitet (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1996 - Az. I ZR 149/94).
5. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit sind die sich gegenüberstehenden Kennzeichen jeweils als Ganzes zu
berücksichtigen und in ihrem Gesamteindruck miteinander zu vergleichen. Das schließt nicht aus, dass unter
Umständen ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Kennzeichens für den Gesamteindruck prägend sein
können, den das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorruft
(vgl. EuGH, Urteil vom 6.10.2005 - Az. C 120/04, Slg. 2005, I-8551 - THOMSON LIFE; EuGH, Urteil vom 12.o6.2007 -
C-334/05 P - HABM/Shaker (Limoncello); BGHZ 167, 322 Tz. 18 - Malteserkreuz).
6. Der Verkehr erblickt in einem neben dem erkennbaren Unternehmens- und Serienkennzeichen (hier: "T") vorhandenen
Bestandteil (hier: "InterConnect") im Allgemeinen die eigentliche Produktkennzeichnung. Ein Bestandteil mit
produktkennzeichnender Funktion, der über Unterscheidungskraft verfügt, tritt im Regelfall in der Wahrnehmung des
Verkehrs nicht vollständig zurück.
7. Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt eines Serienzeichens setzt voraus, dass die Zeichen in einem Bestandteil
übereinstimmen, den der Verkehr als Stamm mehrerer Zeichen eines Unternehmens erkennt, und dass er deshalb
nachfolgende Bezeichnungen, die einen wesensgleichen Stamm aufweisen, dem Inhaber des Serienzeichens zuordnet
(BGH, Urteil vom 22.11.2001 - Az. I ZR 111/99; BGH Urteil vom 24.1.2002 - Az. I ZR 156/99).
Besteht aber gerade keine Übereinstimmung in einem Stammbestandteil; sondern vielmehr umgekehrt in dem weiteren,
produktidentifizierenden Bestandteil des angegriffenen Zeichens, liegt diese Art der Verwechslungsgefahr nicht vor.
8. Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne liegt vor, wenn ein mit einer älteren Marke übereinstimmender Bestandteil
identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen
oder Serienzeichen eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung
dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird,
dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen
(EuGH GRUR 2005, 1042 Tz. 30 ff. - THOMSON LIFE; BGHZ 167, 322 Tz. 18 - Malteserkreuz).
Dasselbe gilt, wenn der Inhaber einer Markenserie ein zusammengesetztes Zeichen benutzt, das den bekannten
Bestandteil der Markenserie mit einem Bestandteil kombiniert, der mit einem anderen nicht oder weniger bekannten
Kennzeichen übereinstimmt. Sowohl beim Unternehmens- als auch beim Serienkennzeichen ist
zu berücksichtigen, dass der Verkehr in einem neben dem erkennbaren Unternehmens- und
Serienkennzeichen vorhandenen Bestandteil grundsätzlich die eigentliche Produktkennzeichnung erblickt.
Dem Bestandteil kommt damit eine eigenständige, produktbezogene Kennzeichnungsfunktion zu, die ihm eine selbständig
kennzeichnende Stellung verleiht. Stimmt der selbständig kennzeichnende, produktbezogene Bestandteil mit einer
anderen Marke überein, besteht grundsätzlich die Gefahr, dass der Verkehr diese andere Marke dem Inhaber des
Unternehmens- oder Serienkennzeichens zuordnet und meint, sie bezeichne dessen Produkte oder Dienstleistungen,
oder dass der Verkehr jedenfalls davon ausgeht, die Waren oder Dienstleistungen stammten von wirtschaftlich
miteinander verbundenen Unternehmen (hier bejaht).
9. Aus der produktbezogenen Kennzeichnungsfunktion eines Zeichenbestandteils (hier: "InterConnect") kann eine
selbständig kennzeichnende Stellung in der zusammengesetzten Marke folgen, für die angesichts der besonderen Bekanntheit
des mit diesem Bestandteil kombinierten Unternehmens- und Serienkennzeichens auch die geringe Kennzeichnungskraft ausreichen kann.
Je bekannter das Unternehmens- und Serienkennzeichen (hier: "T")ist, desto deutlicher tritt die eigenständige, produktbezogene
Kennzeichnungsfunktion des weiteren Bestandteils in den Vordergrund, die die selbständig kennzeichnende Stellung begründet.
Bearbeiter: Ass. iur. Thomas Gramespacher
Online seit: 12.02.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1514
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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