Rechtsprechung
OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.01.2008 - I-20 U 95/07
Keine (Störer-) Haftung des Usenet-Providers - Aufgrund der besonderen Konstellation des Usenet ist dem Usenet-Provider eine ständige Überprüfung künftiger Postings (Einträge) auf Rechtsverletzungen - auch nach Kenntnis konkreter Fälle - nicht zuzumuten.
UrhG § 97 Abs. 1 Satz 1, §§ 85 Abs. 1, 19a; BGB §§ 823, 1004; TMG §§ 9, 10
Leitsätze:*1. Der Usenet-Provider kann zwar ursächlich an der Verbreitung urheberrechtsverletzender Informationen
beteiligt sein, sobald diese über den Namensserver abgerufen werden. Diese bloße Kausalität von Zugangsvermittlung und
Rechtsverletzung ist aber zur Begründung einer Störerhaftung (BGB §§ 823, 1004 analog BGB) des Usenet-Providers nicht ausreichend.
Es bedarf zusätzlich einer Verletzung einer Prüfpflicht, deren Einhaltung im Einzelfall auch möglich und zumutbar sein muss.
Daneben muss der Aufwand für eine Prüfung auch verhältnismäßig sein. Der Diensteanbieter muss dabei nicht jeden nur denkbaren
Aufwand betreiben, um die Nutzung rechtswidriger Inhalte zu vermeiden. Vielmehr muss die Bedeutung des Einzelfalls und der
erforderliche technische und wirtschaftliche Aufwand sowie die Auswirkungen auf andere Teile des Dienstes gesehen werden.
2. Bezüglich fremder Nachrichten, die von Nutzern des Usenet, nicht aber von Kunden des jeweiligen Usenet-Providers
stammen, ist der Usenet-Provider als so genannter Cache-Provider zu qualifizieren. Das Usenet als weltweites Netzwerk
basiert auf Diskussionsforen und ist aufgrund der Vernetzung mit dem herkömmlichen Internet vergleichbar. Eine
Verpflichtung, die den Betrieb eines Usenet-Servers untersagt, legt dem Usenet-Provider jedoch eine allgemeine
Überwachungspflicht auf, die der Usenet-Provider als (reiner) Cache-Provider nicht zu leisten in der Lage ist. Bei
Cache-Providern nach § 9 TMG bestehen insoweit wesentlich geringer Möglichkeiten, eine Störung abzustellen, als bei
so genannten Host-Providern (§ 10 TMG).
3. Aufgrund der besonderen Konstellation des Usenet ist dem Usenet-Provider eine ständige Überprüfung künftiger
Postings (Einträge) auf Rechtsverletzungen - auch nach Kenntnis konkreter Fälle - nicht zuzumuten. Anders als etwa bei
Internetforen kann der Betreiber eines Usenet-Newsservers fremde rechtsverletzende Inhalte kaum aus dem Usenet löschen,
da die Daten des Usenet aufgrund des "Mirrorings" redundant gespeichert werden. Der Usenet-Betreiber kann lediglich
die auf seinem Server hinterlegten "Header"-Informationen (vergleichbar mit einem Link) löschen, die allerdings durch
eine erneute Useranfrage wieder erneut auf den Server übertragen werden, so lange die betreffende Nachricht bzw. deren
Inhalt ("Body") noch im Usenet abrufbar ist.
4. Zum Auffinden bestimmter Binärdateien im Usenet stehen dem Usenet-Betreiber keine speziellen technischen Hilfsmittel
zur Verfügung, die über die Funktionalität von Suchmaschinen bzw. "Newsreadern" hinausgehen. Darüber hinaus ist es dem
Usenet-Provider aufgrund des enormen Datenvolumens, der möglichen Textkodierung von Binärdateien und der Tatsache, dass
der Usenet-Provider selbst keinen Einfluss auf das Einstellen und Verbreiten von Inhalten im Usenet hat, nicht
zumutbar sämtliches urheberrechtlich geschütztes Material von legalen Inhalten zu unterscheiden und den Zugang dazu zu unterbinden.
Eine entsprechend engmaschige Überwachung umzusetzen ist wirtschaftlich nicht möglich und es ist es
dem Usenet-Provider als Cache-Provider nicht zuzumuten, alle Daten händisch zu durchsuchen und zu filtern.
5. Jedenfalls dann, wenn dem verletzten Rechteinhaber im Usenet ein so genannter "Fremdcancel" möglich ist, mittels dessen dieser
in der Lage ist, mit einfachen Mitteln ("Cancel-Message") urheberrechtsverletzende Postings (auch weltweit auf den Newsservern)
zu löschen bzw. ein solcher "Fremdcancel" durch den Usenet-Provider zugelassen ist, ist dies bei der Frage der Zumutbarkeit
und Verhältnismäßigkeit von Prüfungspflichten mit zu berücksichtigen.
6. Grundsätzlich trifft die Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsbegründenden Merkmale in § 97 Abs. 1 UrhG den Anspruchsteller.
Bearbeiter: Ass. iur. Thomas Gramespacher
Online seit: 29.01.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1495
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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