Rechtsprechung
OLG Koblenz, Beschluss vom 12.07.2007 - 2 U 862/06
"Achtung Betrüger unterwegs!" - Zu Abgrenzung von Meinungsäußerung und Schmähkritik und zur Störerhaftung des Internet-Forenbetreibers.
BGB §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004, StGB § 185 StGB, GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1, TDG § 11 (TMG § 10)
Leitsätze:*1. Der Betreiber eines Internet-Forums ist zwar nach nicht verpflichtet, den Kommunikationsvorgang
zu überwachen, erhält er aber Kenntnis rechtswidriger Inhalte, so muss er die Sperrung oder Löschung
des Vorgangs veranlassen (BGH Urteil vom 27.03.2007 – Az. VI ZR 101/06 -; OLG Düsseldorf, OLGR 2006, 581).
2. Eine gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB zu
unterlassende rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung stellen Meinungsäußerungen nur dann dar,
wenn die Belange des Betroffenen durch ihren ehrverletzenden Gehalt in einem mit der Ausübung grundgesetzlich
garantierter Meinungsfreiheit nicht mehr zu rechtfertigenden Maß tangiert sind (BVerfG NJW 1999, 1322, 1324).
Bei der Abwägung ist dabei unter anderem zu berücksichtigen, ob die Äußerung im öffentlichen Meinungskampf
aufgestellt wurde, in dem eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede besteht (BGH NJW 1993, 1845, 1846),
und ob sie gegenüber unbeteiligten Dritten aufgestellt worden ist. In der öffentlichen Auseinandersetzung
muss auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls
die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses droht (BVerfG NJW 1991, 95, 96).
Dementsprechend sind Werturteile von dem Recht zur freien Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
gedeckt, soweit sie nicht zugleich darauf gerichtet sind, die Persönlichkeit herabzusetzen, zu diffamieren
oder sie formal beleidigend sind. Insoweit ist eine Interessenabwägung erforderlich. Eine sachliche
Kritik ist nicht widerrechtlich, unzulässig ist aber eine "Schmähkritik", d.h. Werturteile, die in jeder
sachlichen Grundlage entbehrende böswillige oder gehässige Schmähungen übergehen. Dabei macht selbst eine
überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Die
Zulässigkeitsgrenze wird vielmehr erst dann überschritten, wenn bei der Äußerung nicht mehr die
Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss
jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen
(BVerfGE 82, 272; BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; BGH NJW-RR 1995, 301; BGH NJW 2000, 1036, 1038; BGH NJW 2005, 279, 283).
3. Bei der Formulierung "Achtung Betrüger unterwegs! Firma GmbH" sowie die "Betrüger vom Firma" kann es sich
im Kontext eines Gesamtbetrages in einem Internetforum noch um subjektive Meinungsäußerungen handeln, die sich
im Rahmen zulässiger Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit bewegen und noch nicht den Bereich
unzulässiger Schmähkritik überschreiten, wenn die Warnfunktion (hier vor den Methoden der in Bezug genommen Firma)
deutlich im Vordergrund steht und es dem Verfasser in erster Linie um die Auseinandersetzung in der Sache
und nicht um die persönliche Herabsetzung des/der Betroffenen geht.
4. Bei einem individuellen Beitrag eines Verfassers in einem Internetforum lässt sich die Widerholungsgefahr - außerhalb
des gewerblichen Rechtschutzes und des Wettbewerbsrechts - nicht allein damit begründen, dass der Forenbetreiber
auf die Abmahnung nicht reagiert.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.08.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1344
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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