Rechtsprechung
AG Offenburg, Beschluss vom 20.07.2007 - 4 Gs 442/07
P2P-Tauschbörsen - Die Rückverfolgung einer (dynamischen) IP-Adresse zur Ermittlung der Adresse des Nutzers einer P2P-Tauschbörse ist (im Bereich der Bagatellkriminalität) offensichtlich unverhältnismäßig.
StPO §§ 100g, 100h, 161a; UrhG §§ 106, 108; TKG § 113
Leitsätze:*1. Die Rückverfolgung einer (dynamischen) IP-Adresse zur Ermittlung der
Adresse des Nutzers einer P2P-Tauschbörse ist im Bereich der Bagatellkriminalität
offensichtlich unverhältnismäßig.
2. Die Beantragung der Auskunftserteilung durch den Provider über den Inhaber des Anschlusses,
dem zu dem oben genannten Zeitpunkt die oben genannte dynamische IP-Adresse zugewiesen war,
unterfällt rechtlich den §§ 100g, 100h StPO und nicht den §§ 161a StPO, 113 TKG.
3. Bei den von einem Provider in einem solchen Fall erteilten Daten handelt es sich um
Verkehrsdaten, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen. Inwieweit diese Verkehrsdaten von dem
zuständigen Provider herauszugeben sind, ist somit an §§ 100g, 100h StPO zu messen.
4. Der Anschlussinhaber ist mit der Ermittlung der dynamischen IP nicht bereits unverwechselbar individualisiert,
weshalb die hierauf von dem Provider zu erbringende Bekanntgabe des hinter der IP stehenden Anschlussinhabers
das Fernmeldegeheimnis berührt. Die IP-Nummer ist schon aus logischen Gründen keine unverwechselbare
Individualisierung des Anschlussinhabers, der diese IP (zum Tatzeitpunkt) benutzt hat, weil erst mit der
Verknüpfung mit den Daten bei dem jeweiligen Provider ein Anschlussinhaber herausgefiltert werden kann.
Erst die begehrte Auskunft führt somit zur Individualisierung, ohne diese Auskunft sind zusammengetragenen IP-Adresse
ein technisches und rechtliches Nullum, mit dem niemand etwas anfangen kann.
5. Bei den Vorgängen in P2P-Tauschbörsen handelt es sich um Individualkommunikation.
Indem die P2P-Klienten durch das jeweilige P2P-Programm zusammengeführt worden sind, handelt
es sich denknotwendig um die Kommunikation zwischen zwei Personen, die über den jeweiligen Anschluss miteinander kommunizieren.
Kein Dritter ist hier im Bunde.
6. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Ermittlungsmaßnahme gemäß §§ 100h, 100g StPO wegen des
Verdachts von Straftaten gemäß §§ 106, 108 UrhG ist die Schwere des Tatvorwurfs sowie der Grad des Tatverdachts zu berücksichtigen
und eine umfassende Abwägung im Einzelfall vorzunehmen.
7. Jedenfalls dann, wenn nur eine geringe Anzahl von urheberrechtlich
geschützten Dateien (hier: zwei Musikdateien) über P2P-Tauschbörsen (konkret nachweislich) zum Upload für Dritte bereitgehalten werden, handelt
es sich um einen Fall der Bagatellkriminalität. Insoweit ist die Schwere des Tatvorwurfs an dem messbaren strafrechtlichen
Gehalt des Einzelfalls zu beurteilen. Mit in diese Beurteilung ist einzustellen, wenn der unbekannte Täter nicht
nur nicht gewerbsmäßig handelt, sondern vielmehr bei dem Bereitstellen zum Upload gerade keinerlei finanzielle
Vorteile für sich realisiert. Bei der Beurteilung des Grads des Tatverdachtes im Fall von Straftaten gemäß §§ 106, 108 UrhG
im Umfeld von P2P-Tauschbörsen ist etwa zu berücksichtigen, dass die notwenige vorsätzliche Begehungsweise in der Regel nur schwer
zu belegen ist, da der Nachweis, der Nutzer sei nicht auf die (teils verborgenen) Redistributionsprogramme hereingefallen, im
Einzelfall (außer im Fall des Geständnisses) kaum zu führen ist. Verfolgen die Anzeigenerstatter zudem mit ihrer Strafanzeige
ersichtlich den Zweck, den
über die Ermittlungen festgestellten Anschlussinhaber später zivilrechtlich als Störer auf Unterlassung und auf Zahlungen
von Schadenersatz in Anspruch zu nehmen ist dies ebenfalls in die Abwägung bei der Entscheidung über die beantragte
Ermittlungsmaßnahme
mit einzubeziehen.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.07.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1306
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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