Rechtsprechung
BGH , Urteil vom 06.03.2007 - VI ZR 51/06
Personen der Zeitgeschichte & abgestuftes Schutzkonzept - Veröffentlichung von Bildaufnahmen prominenter ohne Einwilligung kann zulässig sein - Caroline von Hannover.
GG Art. 5 Abs. 1, 2 Abs. 1; EMRK Art. 8, 10; KunstUrhG §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Leitsätze:*1. Zur Illustrierung der Berichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis kann eine
Veröffentlichung von Bildaufnahmen Prominenter nach einer Abwägung der widerstreitenden
Rechte und Grundrechte der abgebildeten Person aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK
mit den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 10 EMRK auch ohne Einwilligung
zulässig sein.
2. Bildnisse einer Person dürfen grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden
(§ 22 Satz 1 KUG). Das Recht am eigenen Bild ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein dem Abgebildeten die
Befugnis zusteht, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise er der Öffentlichkeit im Bild
vorgestellt wird (st. Rspr.; vgl. BGHZ 131, 332, 336; BGH Urteil vom 28.09.2004 - Az. VI ZR 305/03).
Eine Ausnahme besteht nach § 23 Abs. 1 KUG dann, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte
handelt; allerdings nur soweit durch die Verbreitung berechtigte Interessen des
Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).
3. Während als "relative" Person der Zeitgeschichte eine Person anzusehen ist, die durch ein bestimmtes
zeitgeschichtliches Ereignis das Interesse auf sich gezogen hat und die ohne ihre Einwilligung nur
im Zusammenhang mit diesem Ereignis abgebildet werden darf, gilt als "absolute" Person der Zeitgeschichte
eine Person, die aufgrund ihres Status und ihrer Bedeutung allgemein öffentliche Aufmerksamkeit findet,
so dass sie selbst Gegenstand der Zeitgeschichte ist und deshalb über sie berichtet werden darf.
Gleichwohl hat auch die absolute Person der Zeitgeschichte ein Recht auf Privatsphäre, das nicht auf
den häuslichen Bereich beschränkt ist. Vielmehr muss sie die Möglichkeit haben, sich an anderen, erkennbar
abgeschiedenen Orten unbehelligt von Bildberichterstattung zu bewegen (vgl. BGHZ 131, 332 ff., bestätigt von
BVerfG, BVerfGE 101, 361 ff.).
4. Der Begriff des Zeitgeschehens ist in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zugunsten der Pressefreiheit
zwar in einem weiten Sinn zu verstehen, doch ist das Informationsinteresse nicht schrankenlos.
Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Berichterstattung keineswegs immer zulässig ist. Wo
konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen
Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände
des Einzelfalls entscheiden.
5. Eine Ausnahme vom Erfordernis der Einwilligung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die
Berichterstattung ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung betrifft (vgl. § 23 Abs. 2 KUG).
Es hat eine Interessenabwägung stattzufinden zwischen dem Informationsinteresse der
Öffentlichkeit einerseits und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre
andererseits. Maßgeblich abzustellen ist auf den Informationswert der Abbildung, wobei eine zugehörige Wortberichterstattung nicht unberücksichtig bleiben darf. Je größer der Informationswert
für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse
desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten.
Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert
für die Allgemeinheit ist (vgl. BVerfGE 101, 361, 391; Senat, BGHZ 131, 332, 342 m.w.N.). Das Interesse der
Leser an bloßer Unterhaltung hat gegenüber dem Schutz der Privatsphäre regelmäßig ein geringeres Gewicht und
ist nicht schützenswert (vgl. BVerfGE 34, 269, 283; BGHZ 131, 332, 342 m.w.N.).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 02.07.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1280
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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