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Rechtsprechung



BVerfG, Beschluss vom 04.12.2006 - 1 BvR 1200/04

Die im Wettbewerbsrecht entwickelte "Kerntheorie" und die Wettbewerbsrechtsprechung zum sog. Organisationsverschulden des Unterlassungschuldners für Verstöße Dritter gegen ein Unterlassungsgebot sind verfassungsrechtlich unbedenklich.

ZPO § 890, BGB §§ 31, 276, GG Art. 2 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2, BVerfGG § 93a Abs. 2

Leitsätze:*

1. Die im Wettbewerbsrecht entwickelte "Kerntheorie", wonach der Schutzumfang eines Unterlassungsgebots nicht nur die Verletzungsfälle, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch solche gleichwertigen Äußerungen umfasst, die ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzelnen den Äußerungskern unberührt lassen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9.07.1997 – Az. 1 BvR 730/97).

2. Die "Kerntheorie" dient der effektiven Durchsetzung von auf die Unterlassung von Äußerungen gerichteten Ansprüchen, die wesentlich erschwert wäre, falls eine Verletzung von Unterlassungstiteln nur in Fällen anzunehmen wäre, in denen die Verletzungshandlung dem Wortlaut des Titels genau entspricht. Dass ein Unterlassungsgebot sich auf den Inhalt der zu unterlassenden Behauptung bezieht und weniger auf ihre konkrete Formulierung im Einzelfall, ist auch für den Unterlassungsschuldner erkennbar. Zudem hat dieser die Möglichkeit, bereits im Erkenntnisverfahren auf eine sachgerechte Formulierung des Titels hinzuwirken und so etwaigen fehlerhaften und ausufernden Deutungen des Entscheidungstenors vorzubeugen.

3. Die Gerichte gehen in verfassungrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass eine Haftung des Unterlassungschuldners für fremdes Verschulden nicht in Betracht kommt. Bei einem Organisationsverschulden, das darin zu sehen ist, dass der Unterlassungschuldner nicht das zur Unterbindung von Verstößen gegen das Unterlassungsgebot Mögliche und Zumutbare (etwa durch Einwirkung auf Dritte) unternommen hat, handelt es sich allerdings nicht um die Zurechnung fremden Verschuldens, sondern um eigenes (Organisations-) Verschulden im Sinne des § 31 BGB.

4. Bei der Feststellung eines solchen Organisationsverschuldens ist eine Differenzierung, nach der ein Eigenverschulden nur in dem Verhalten der von dem Unterlassungschuldner "abhängigen" Dritten (etwa Mitarbeitern oder Tochtergesellschaften) gesehen werden kann, nicht aber in dem Verhalten Außenstehender (etwa Mitgesellschaftern) verfassungsrechtlich nicht geboten. Ein Eigenverschulden kann auch in der fehlenden aber zumutbaren Einwirkungen auf Dritte liegen.

MIR 2007, Dok. 252


Download: Entscheidungsvolltext PDF


Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 01.07.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1275

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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