Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 19.04.2007 - I ZR 35/04
Internet-Versteigerung II - Zur (Mit-) Störerhaftung des Betreibers einer Internetplattform (hier: Internetauktionshaus) für durch Dritte begangene (Marken-) Rechtsverletzungen (ROLEX) und zum Umfang und zur Zumutbarkeit von Prüfungspflichten des "Dritten Störers".
TMG § 10 Satz 1 (= TDG § 11 Satz 1); Gemeinschaftsmarkenverordnung Art. 98 Abs. 1; Richtlinie 2004/48/EG Art. 11 Satz 3
Leitsätze:*1. Die Unanwendbarkeit des Haftungsprivilegs gemäß § 10 Satz 1 TMG (= § 11 Satz 1 TDG 2001) auf Unterlassungsansprüche
gilt nicht nur für den auf eine bereits geschehene Verletzung gestützten, sondern auch für den vorbeugenden
Unterlassungsanspruch (Fortführung von BGHZ 158, 236, 246 ff. – Internet-Versteigerung I
= MIR 2005, Dok. 010).
2. Die autonome Regelung des Unterlassungsanspruchs in Art. 98 Abs. 1 GMV ist durch Art. 11 Satz 3 der Richtlinie
2004/48/EG vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Durchsetzungsrichtlinie)
im Hinblick auf die Haftung von "Mittelspersonen" ergänzt worden. Die Ausgestaltung dieser Haftung im Einzelnen
bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Im deutschen Recht ist die Haftung von "Mittelspersonen" durch die deliktsrechtliche
Gehilfenhaftung, insbesondere aber durch die Störerhaftung gewährleistet.
3. Ein Störer kann auch dann vorbeugend auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn es noch nicht zu einer
Verletzung des geschützten Rechts gekommen ist, eine Verletzung in der Zukunft aber aufgrund der Umstände zu befürchten ist.
Voraussetzung dafür ist, dass der potentielle Störer eine Erstbegehungsgefahr begründet.
4. Bei einer drohenden Gefährdung braucht nicht erst abgewartet zu werden, bis der erste Eingriff in ein Rechtsgut erfolgt ist.
Dies folgt bereits aus dem Wesen des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs.
5. Als Störer haftet derjenige auf Unterlassung, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise
willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt (BGHZ 148, 13, 17 – ambiente.de; BGH,
Urteil vom 18.10.2001 – Az. I ZR 22/99, GRUR 2002, 618, 619 = WRP 2002, 532 – Meißner Dekor; BGHZ 158, 236, 251 –
Internet-Versteigerung I = MIR 2005, Dok. 010).
Weil die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige
Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Senats die Verletzung
von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen
nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH, Urteil von 10.10.1996 – Az. ZR 129/94, GRUR 1997, 313, 315 f. = WRP 1997, 325 –
Architektenwettbewerb; Urteil vom 15.10.1998 – Az. R 120/96, GRUR 1999, 418, 419 f. = WRP 1999, 211 – Möbelklassiker;
BGHZ 148, 13, 17 f. – ambiente.de; BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung I).
6. Jedenfalls soweit die Verletzung eines absoluten Rechts in Rede steht, stellt sich nicht die Frage, ob die Störerhaftung
auch in Fällen des Verhaltensunrechts anzuwenden ist (vgl. BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung I).
7. Klare, ohne weiteres erkennbare Rechtsverletzungen begründen eine Prüfungspflicht des Betreibers einer Internetplattform
(hier: Internetauktionshaus). Der als Störer in Anspruch Genommene (hier: eBay) hat dann
nicht nur den konkreten Inhalt (Beitrag bzw. das konkretes Angebot) zu sperren, sondern auch Vorsorge dafür treffen,
dass es bei neuen, ähnlichen Beiträgen oder Angeboten (hier: Angbebote von ROLEX Uhren) nicht zu weiteren Rechtsverletzungen kommt.
Hierbei dürfen dem in Anspruch Genommenen aber keine unzumutbaren Prüfungspflichten
auferlegt werden, die etwa das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen würden (BGHZ 159, 236, 251 -
Internet-Versteigerung I = MIR 2005, Dok. 010).
8. Hinsichtlich des Einsatzes einer Filtersoftware zum Aufspüren von
rechtswidrigen Inhalten eines Onlineangebots (hier: Angebote im Rahmen einer Internetauktion) ist jedenfalls dann die Grenze des Zumutbaren
erreicht, wenn keine eindeutigen Merkmale vorhanden sind, die sich zur Eingabe in ein derartiges Filter- bzw. Suchsystem eignen.
9. Auch wenn eine lückenlose Vorabkontrolle, die sämtliche Rechtsverletzungen sicher erkennt, technisch nicht möglich
sein mag, hindert dies eine Verurteilung zur Unterlassung nicht. Auch im Falle einer Verurteilung zur Unterlassung ist der Unterlassungsschuldner nur insoweit haftbar zu machen, wie ihn Verschulden trifft (§ 890 ZPO).
Für Rechtsverletzungen (hier: Markenverletzungen), die in einem solchen vorgezogenen Filterverfahren nicht erkannt werden können,
trifft ihn aber kein Verschulden (vgl. BGHZ 158, 236, 252 - Internet-Versteigerung I
= MIR 2005, Dok. 010).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 26.06.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1268
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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