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OLG Köln, Urteil vom 30.03.2007 - 6 U 249/06
Nicht jede unwirksamen AGB sind abmahnfähig - Bei den Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB handelt es sich in der Regel nicht um Vorschriften, die dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
UWG §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 4 Nr. 2, Nr. 11, 5 Abs. 2; BGB §§ 305b, 305c, 307, 208 Nr. 8, 309; UKlaG §§ 1, 3
Leitsätze:*1. Bei den Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB handelt es sich in der Regel nicht um
Vorschriften, die dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das
Marktverhalten zu regeln (a.A. etwa: Kammergericht, Beschluss vom 04.02.2005 –
5 W 13/05, KGR 2005, 284 = MD 2005, 383 = MMR 2005, 466 = MDR 2005, 677).
2. Zwar gehört der Verbraucherschutzgedanke neben dem Schutz der Vertragsgestaltungsfreiheit
zu den anerkannten Zielen des AGB-Rechts.
Mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Verbraucherschutz ist der wettbewerbsrechtliche
Schutz des Verbrauchers indes nicht gleichzusetzen. Durch dessen Erwähnung in der
Schutzzwecktrias des § 1 UWG n.F. wollte der Gesetzgeber die Stellung unterstreichen,
die dem Verbraucher im Rahmen des Lauterkeitsrechts zukommt. Der Zweck des Gesetzes
liegt aber darin, das Marktverhalten der Unternehmen im Interesse der Marktteilnehmer zu
regeln und zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem funktionsfähigen
Wettbewerb zu schützen. Der Schutz sonstiger Allgemeininteressen (wie etwa
wettbewerbsfremder Verbraucherschutzziele) ist nicht Aufgabe des UWG.
3. Für den Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG reicht es nicht aus, dass die Norm ausdrücklich
oder erkennbar den Verbraucher schützt; vielmehr kommt es auf seinen Schutz als
am Markt agierende Person an. Nur dann kommt ihr eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs
bezogene Schutzfunktion zugunsten der Marktteilnehmer zu, wie sie der Rechtsbruchstatbestand voraussetzt.
Den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zur Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit
bestimmter AGB-Klauseln fehlt in der Regel ein solcher Marktbezug.
4. Für den Marktbezug einer gesetzlichen Vorschrift genügt es nicht, dass sie auf
ein konkretes Schuldverhältnis bezogene Interessen anderer Marktteilnehmer schützt.
So ist etwa die Verfolgung von Verstößen gegen den gesetzlichen Schutz geistigen Eigentums
sowie von Marken und Unternehmenskennzeichen dem Rechtsinhaber vorbehalten, während
Mitbewerber – sofern nicht besondere, außerhalb des Schutztatbestandes liegende Umstände hinzutreten –
nicht einmal die planmäßige und beständig wiederholte Verletzung fremder
Ausschließlichkeitsrechte mit dem Argument angreifen können, der Verletzer verschaffe
sich durch seinen Rechtsbruch einen Wettbewerbsvorsprung (BGH, GRUR 1999, 325 – Elektronische Pressearchive).
Nicht ein bewusstes und planmäßiges Handeln zum eigenen Vorteil eröffnet den
Weg zum wettbewerbsrechtlich begründeten Verbot, sondern allein der Wettbewerbsbezug der verletzten Norm selbst.
5. In diesem Sinne schützen auch die Vertragsvorschriften des bürgerlichen Rechts
grundsätzlich nur die individuellen Interessen der Vertragspartner (BGHZ 123, 330 =
GRUR 1994, 126 – Folgeverträge I). Selbst die Missbilligung sittenwidrigen Handelns
in §§ 138, 817, 826 BGB wirkt mangels besonderer Umstände nur zwischen den jeweils
Beteiligten (inter partes) und hat damit eine grundlegend andere Funktion als
die Regeln des Lauterkeitsrechts – dies unabhängig davon, dass ein mit grundlegenden
Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbares Verhalten, wenn es zu Zwecken des
Wettbewerbs erfolgt, meist auch unlauter im Sinne von § 3 UWG sein wird.
6. An dem erforderlichen Markt- und Wettbewerbsbezug der Norm fehlt es auch bei den
gesetzlichen Vorschriften zur Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse
durch AGB (§§ 305-310 BGB), die sich in der Regel nur auf die Abwicklung konkret
abgeschlossener Verträge beziehen und auf die jeweiligen Vertragspartner auswirken.
Aus dem Umstand, dass AGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, vom
Verwender bei Vertragsabschluss gestellt und nicht individuell ausgehandelt werden
(§ 305 Abs. 1 S. 1 und 3 BGB), folgt nichts anderes.
7. Allein daraus, dass der Klauselverwender möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt
Vorteile aus einer Fehlvorstellung des Verbrauchers zieht, die mit der gesetzlich
angeordneten Unwirksamkeit der zur Zeit des Vertragsabschlusses planmäßig
verwendeten AGB zusammenhängt, folgt ebenfalls keine wettbewerbsbezogene Schutzfunktion
der betreffenden Gesetzesbestimmungen. Denn hierbei handelt es sich um dem Wettbewerbsverhalten
nachgelagerte Interessen der Vertragspartner innerhalb eines konkreten Schuldverhältnisses und nicht
um eine Beeinträchtigung ihres Konsum- und Nachfrageverhaltens als Verbraucher am Markt.
8. Insbesondere in Bezug auf solche Klauselverbote, die eine Nähe zu gesetzlichen
Informationspflichten aufweisen - wie fehlerhafte formularmäßige Belehrungen etwa
über Widerrufsrechte (vgl. zu § 1 UWG a.F. und §§ 312 Abs. 1, Abs. 2, 355 Abs. 2 S. 2
BGB: BGH, WRP 2003, 266 = GRUR 2003, 252 – Widerrufsbelehrung IV) unangemessene Formularklauseln,
die eine Einwilligung des Verbrauchers mit telefonischer Werbung im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG
begründen sollen und sich damit unmittelbar auf ein Wettbewerbsverhalten des Verwenders
oder seiner Beauftragten beziehen (vgl. zu § 1 UWG a.F.: BGH, WRP 2000, 722 =
GRUR 2000, 818 = NJW 2000, 2677 – Telefonwerbung VI) - können die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB ausnahmsweise
dazu bestimmt sein, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
9. Ohne das Hinzutreten von Besonderheiten im Einzelfall und ein entsprechendes Parteivorbringen
liegt in der Verwendung unwirksamer AGB (hier: Schriftformklausel nach §§ 305b, 305c und 307 BGB, Selbstlieferungsvorbehalt
und Nacherfüllungsklausel nach §§ 308 Nr. 8 und 309 Nr. 8 b bb BGB) keine Ausnutzung der Leichtgläubigkeit
juristisch nicht vorgebildeter und geschäftlich unerfahrener Verbraucher (§ 4 Nr. 2 UWG) und keine
irreführende Werbung (§ 5 Abs. 2 UWG).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 20.06.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1263
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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