Kurz notiert
Landesdatenschutzbeauftragte NRW
"Überzogenes Sicherheitsdenken" - Telekommunikationsüberwachung und heimliche Ermittlungsmaßnahmen dürfen Grundrechte nicht aushebeln
MIR 2007, Dok. 225, Rz. 1
1
Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW, Bettina Sokol, teilt mit,
dass die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die folgende Entschließung gefasst haben:
"Telekommunikationsüberwachung und heimliche Ermittlungsmaßnahmen dürfen Grundrechte nicht aushebeln
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wendet sich mit Nachdruck gegen die von Bundesregierung und Bundesratsgremien geplante Einführung der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und die Verschärfungen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, vor allem durch Telekommunikationsüberwachung:
Heimliche Online-Durchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung tiefer Eingriff in die Privatsphäre der Bevölkerung
Die Datenschutzbeauftragten haben am 8./9. März 2007 auf ihrer Konferenz in Erfurt einen ersten Gesetzentwurf als verfassungswidrig beanstandet. Insbesondere haben sie vor heimlichen Online-Durchsuchungen und der Vorratsdatenspeicherung gewarnt. Damit würde tief in die Privatsphäre eingegriffen und das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung – ob via Telefon oder Internet – pauschal und anlasslos erfasst.
Die einhellige Kritik der Datenschutzbeauftragten und ihre Aufforderung, stattdessen verhältnismäßige Eingriffsregelungen zu schaffen, wurden von der Bundesregierung nicht beachtet. In ihrem Gesetzentwurf vom 27. April 2007 wird demgegenüber der Schutz der Zeugnisverweigerungsberechtigten verringert, Benachrichtigungspflichten gegenüber betroffenen Personen werden aufgeweicht, Voraussetzungen für die Erhebung von Standortdaten in Echtzeit und für den Einsatz des IMSI-Catchers erheblich ausgeweitet und die Verwendungszwecke für die auf Vorrat gespeicher-ten Daten über die europarechtlichen Vorgaben hinaus auch auf leichte Straftaten, auf Zwecke der Gefahrenabwehr und sogar der Nachrichtendienste erstreckt.
Die nun im Bundesratsverfahren erhobenen zusätzlichen Forderungen zeugen von mangelndem Respekt vor den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger.
Dies zeigen folgende Beispiele: Die ohnehin überzogene Speicherdauer aller Verkehrsdaten wird von 6 auf 12 Monate verlängert. Die Überwachungsintensität erhöht sich durch eine Verschärfung der Prüfpflichten der Telekommunikationsunternehmen – bis zum Erfordernis des Ablichtens und Aufbewahrens von Identitätsnachweisen aller Personen, die Prepaid-Produkte nutzen wollen. Die Sicherheitsbehörden erhalten Auskunft über Personen, die bestimmte dynamische IP-Adressen nutzen. Ausschüsse des Bundesrates wollen die Nutzung dieser Daten sogar zur zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum gestatten und bewegen sich damit weit jenseits des durch die EG-Richtlinie zur Vorratsspeicherung abgesteckten Rahmens, die Nutzung auf die Verfolgung schwerer Straftaten zu beschränken. Weiterhin ist eine Ausdehnung der Auswertung von Funkzellendaten von Mobiltelefonen mit dem Ziel der Ermittlung des Aufenthaltes von möglichen Zeuginnen und Zeugen geplant. Daten, die Beweiserhebungs- oder -verwertungsverboten unterliegen, sollen nicht unmittelbar gelöscht, sondern nur gesperrt werden.
Online-Durchsuchung widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen
Ganz nebenbei will der Innenausschuss des Bundesrats eine Rechtsgrundlage für die heimliche Online-Durchsuchung von Internet-Computern schaffen. Allein die Zulassung dieser Maßnahme würde rechtsstaatlichen Grundsätzen eklatant widersprechen und das Vertrauen in die Sicherheit der Informationstechnik massiv beschädigen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit eine Reihe von Sicherheitsgesetzen mit heimlichen Erhebungsmaßnahmen aufgehoben. Auch europäische Gerichte haben Sicherheitsmaßnahmen für rechtswidrig erklärt. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten sollte abgewartet werden ebenso wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur nordrhein-westfälischen Regelung, die dem Verfassungsschutz die Online-Durchsuchung erlaubt.
Überzogenes Sicherheitsdenken v.s. maßvolle Eingriffsbefugnisse mit effektiven, grundrechtsichernden Verfahrensregelungen
Die Forderungen im Gesetzgebungsverfahren zeugen von einem überzogenen Sicherheitsdenken. Sie führen dazu, dass die Freiheitsrechte der Bevölkerung untergraben werden. Sicherheit in der Informationsgesellschaft ist nicht mit überbordenden Überwachungsregelungen zu erreichen, sondern nur durch maßvolle Eingriffsbefugnisse mit effektiven grundrechtssichernden Verfahrensregelungen und durch deren besonnene Anwendung. Die betroffenen Grundrechte verkörpern einen zu hohen Wert, als dass sie kurzfristigen Sicherheitsüberlegungen geopfert werden dürfen."
(tg) - Quelle: Presseerklärung der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen vom 8.06.2007
"Telekommunikationsüberwachung und heimliche Ermittlungsmaßnahmen dürfen Grundrechte nicht aushebeln
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wendet sich mit Nachdruck gegen die von Bundesregierung und Bundesratsgremien geplante Einführung der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und die Verschärfungen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, vor allem durch Telekommunikationsüberwachung:
Heimliche Online-Durchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung tiefer Eingriff in die Privatsphäre der Bevölkerung
Die Datenschutzbeauftragten haben am 8./9. März 2007 auf ihrer Konferenz in Erfurt einen ersten Gesetzentwurf als verfassungswidrig beanstandet. Insbesondere haben sie vor heimlichen Online-Durchsuchungen und der Vorratsdatenspeicherung gewarnt. Damit würde tief in die Privatsphäre eingegriffen und das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung – ob via Telefon oder Internet – pauschal und anlasslos erfasst.
Die einhellige Kritik der Datenschutzbeauftragten und ihre Aufforderung, stattdessen verhältnismäßige Eingriffsregelungen zu schaffen, wurden von der Bundesregierung nicht beachtet. In ihrem Gesetzentwurf vom 27. April 2007 wird demgegenüber der Schutz der Zeugnisverweigerungsberechtigten verringert, Benachrichtigungspflichten gegenüber betroffenen Personen werden aufgeweicht, Voraussetzungen für die Erhebung von Standortdaten in Echtzeit und für den Einsatz des IMSI-Catchers erheblich ausgeweitet und die Verwendungszwecke für die auf Vorrat gespeicher-ten Daten über die europarechtlichen Vorgaben hinaus auch auf leichte Straftaten, auf Zwecke der Gefahrenabwehr und sogar der Nachrichtendienste erstreckt.
Die nun im Bundesratsverfahren erhobenen zusätzlichen Forderungen zeugen von mangelndem Respekt vor den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger.
Dies zeigen folgende Beispiele: Die ohnehin überzogene Speicherdauer aller Verkehrsdaten wird von 6 auf 12 Monate verlängert. Die Überwachungsintensität erhöht sich durch eine Verschärfung der Prüfpflichten der Telekommunikationsunternehmen – bis zum Erfordernis des Ablichtens und Aufbewahrens von Identitätsnachweisen aller Personen, die Prepaid-Produkte nutzen wollen. Die Sicherheitsbehörden erhalten Auskunft über Personen, die bestimmte dynamische IP-Adressen nutzen. Ausschüsse des Bundesrates wollen die Nutzung dieser Daten sogar zur zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum gestatten und bewegen sich damit weit jenseits des durch die EG-Richtlinie zur Vorratsspeicherung abgesteckten Rahmens, die Nutzung auf die Verfolgung schwerer Straftaten zu beschränken. Weiterhin ist eine Ausdehnung der Auswertung von Funkzellendaten von Mobiltelefonen mit dem Ziel der Ermittlung des Aufenthaltes von möglichen Zeuginnen und Zeugen geplant. Daten, die Beweiserhebungs- oder -verwertungsverboten unterliegen, sollen nicht unmittelbar gelöscht, sondern nur gesperrt werden.
Online-Durchsuchung widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen
Ganz nebenbei will der Innenausschuss des Bundesrats eine Rechtsgrundlage für die heimliche Online-Durchsuchung von Internet-Computern schaffen. Allein die Zulassung dieser Maßnahme würde rechtsstaatlichen Grundsätzen eklatant widersprechen und das Vertrauen in die Sicherheit der Informationstechnik massiv beschädigen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit eine Reihe von Sicherheitsgesetzen mit heimlichen Erhebungsmaßnahmen aufgehoben. Auch europäische Gerichte haben Sicherheitsmaßnahmen für rechtswidrig erklärt. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten sollte abgewartet werden ebenso wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur nordrhein-westfälischen Regelung, die dem Verfassungsschutz die Online-Durchsuchung erlaubt.
Überzogenes Sicherheitsdenken v.s. maßvolle Eingriffsbefugnisse mit effektiven, grundrechtsichernden Verfahrensregelungen
Die Forderungen im Gesetzgebungsverfahren zeugen von einem überzogenen Sicherheitsdenken. Sie führen dazu, dass die Freiheitsrechte der Bevölkerung untergraben werden. Sicherheit in der Informationsgesellschaft ist nicht mit überbordenden Überwachungsregelungen zu erreichen, sondern nur durch maßvolle Eingriffsbefugnisse mit effektiven grundrechtssichernden Verfahrensregelungen und durch deren besonnene Anwendung. Die betroffenen Grundrechte verkörpern einen zu hohen Wert, als dass sie kurzfristigen Sicherheitsüberlegungen geopfert werden dürfen."
(tg) - Quelle: Presseerklärung der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen vom 8.06.2007
Online seit: 08.06.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1247
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Was Sie noch interessieren könnte...
Ersatzeinreichung - Zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument
BGH, Beschluss vom 25.02.2025 - VI ZB 19/24, MIR 2025, Dok. 036
Werbeblocker II - Keine unlautere zielgerichtete Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG und keine aggressive geschäftliche Handlung im Sinne von § 4a Abs. 1 UWG durch das Angebot einer Werbeblocker-Software (hier: Adblock Plus)
BGH, Urteil vom 19.04.2018 - I ZR 154/16, MIR 2018, Dok. 044
Clickbaiting - Zur unzulässigen Nutzung eines Prominentenbildes als "Klickköder" für einen redaktionellen Beitrag ohne Bezug zum Abgebildeten
Bundesgerichtshof, MIR 2021, Dok. 007
Hängepartie? - Bundesgerichtshof überprüft "Hängebeschluss" des OLG Düsseldorf in Sachen Facebook (wegen der Verarbeitung und Verwendung von Nutzerdaten)
Bundesgerichtshof, MIR 2020, Dok. 093
Cookie-Banner - Zur (unzulässigen) Gestaltung von Cookie-Bannern unter den Aspekten der Aufgeklärtheit, Eindeutigkeit, Transparenz und Freiwilligkeit der Einwilligung im Sinne von § 25 Abs. 1 TTDSG, Art. 4 Nr. 11 DSGVO
OLG Köln, Urteil vom 19.01.2024 - 6 U 80/23, MIR 2024, Dok. 025
BGH, Beschluss vom 25.02.2025 - VI ZB 19/24, MIR 2025, Dok. 036
Werbeblocker II - Keine unlautere zielgerichtete Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG und keine aggressive geschäftliche Handlung im Sinne von § 4a Abs. 1 UWG durch das Angebot einer Werbeblocker-Software (hier: Adblock Plus)
BGH, Urteil vom 19.04.2018 - I ZR 154/16, MIR 2018, Dok. 044
Clickbaiting - Zur unzulässigen Nutzung eines Prominentenbildes als "Klickköder" für einen redaktionellen Beitrag ohne Bezug zum Abgebildeten
Bundesgerichtshof, MIR 2021, Dok. 007
Hängepartie? - Bundesgerichtshof überprüft "Hängebeschluss" des OLG Düsseldorf in Sachen Facebook (wegen der Verarbeitung und Verwendung von Nutzerdaten)
Bundesgerichtshof, MIR 2020, Dok. 093
Cookie-Banner - Zur (unzulässigen) Gestaltung von Cookie-Bannern unter den Aspekten der Aufgeklärtheit, Eindeutigkeit, Transparenz und Freiwilligkeit der Einwilligung im Sinne von § 25 Abs. 1 TTDSG, Art. 4 Nr. 11 DSGVO
OLG Köln, Urteil vom 19.01.2024 - 6 U 80/23, MIR 2024, Dok. 025