Rechtsprechung
LG Mannheim, Urteil vom 30.01.2007 - Az. 2 O 71/06
(Mit-) Störerhaftung des Internet-Anschlussinhabers für (P2P-) Urheberrechtsverletzungen III - Zur Reichweite der Störerhaftung bei der Internetnutzung durch volljährige Familienmitglieder.
UrhG § 97 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 2
Leitsätze:*1. Grundsätzlich trifft die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden
Merkmale in § 97 Abs. 1 UrhG den Anspruchssteller. Allerdings trifft den Anspruchsgegner
eine sekundäre Darlegungslast. Als solche wird die Last einer Gegenpartei bezeichnet,
sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen
der darlegungspflichtigen Partei zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast
kann insbesondere dann angenommen werden, wenn sich die maßgeblichen Vorgänge im
Wahrnehmungsbereich des Prozessgegners abgespielt haben. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen,
ob es diesem zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (hier: Angaben zur Frage, wer einen
Internetanschluss zum maßgeblichen Zeitpunkt genutzt hat). Hierbei sind die
Anspruchsgegner nur zur Darlegung ihres Wissens- und Kenntnisstandes verpflichtet
und dürfen sich auch darauf beschränken, die Information, die sie etwa von
ihren volljährigen Kindern zu dem fraglichen Umstand erhalten haben, weiterzugeben.
2. Wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat
kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, kann als Störer für eine
Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden
(vgl. BGHZ 148, 13, 17 - ambiente.de; BGH Urteil vom 18.10.2001 - Az. I ZR 22/99, GRUR 2002,
618, 619 - Meißner Dekor, BGHZ 158, 236, 251 - Internet-Versteigerung). Nach ständiger Rechtsprechung
setzt allerdings die Haftung desjenigen, der als Störer haftet, die Verletzung von Prüfungspflichten voraus.
Denn anderenfalls würde die Störerhaftung über Gebühr auf Dritte erstreckt werden,
die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben.
Der Umfang der Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer
in Anspruch genommenen nach den Umständen eine Prüfung zumutbar ist
(BGH, Urteil vom 10.10.1996 - Az. I ZR 129/94, GRUR 1997, 313, 315 f - Architektenwettbewerb;
Urteil vom 30.06.1994 - Az. I ZR 40/92, GRUR 1994, 841, 842 f; Urteil vom 15.10.1998 - Az. I ZR 120/96,
GRUR 1999, 418, 419 f - Möbelklassiker, BGHZ 148, 13, 17 f - ambiente.de; BGHZ 158, 236, 251 - Internet-Versteigerung).
3. Der Betreiber und Inhaber eines Internetanschlusses trägt willentlich und adäquat kausal
zur - auch durch Dritte begangenen - Verletzung geschützten Urheberrechts (hier: Im Rahmen der P2P-Tauschbörse "emule")
bei. Denn ohne den Internetanschluss würde es nicht kausal zu einer Verletzung des geschützten Urheberrechts kommen.
Weiter ist der Inhaber des Anschlusses sowohl rechtlich als auch tatsächlich in der Lage, dafür Sorge zu tragen,
dass der betreffende Anschluss nicht für Rechtsverletzungen genutzt wird.
4. Bei der Eröffnung des Zugangs zum Internet im familiären Verbund sind Prüfungs- und Überwachungspflichten
nur insoweit anzunehmen, als diese im Rahmen der Erziehung von Kindern in Abhängigkeit von deren
Alter auch auf anderen Betätigungsfeldern notwendig ist. Eine dauerhafte Überprüfung des Handelns
der eigenen Kinder oder des Ehepartners ist ohne konkreten Anlass für die Annahme, dass Familienmitglieder
in rechtswidriger Weise Urheberrechte im Rahmen der Nutzung des Internets verletzen, nicht zumutbar und eine
ständige Überwachung oder gar eine Sperrung des Anschlusses kommt für diese nicht in Betracht.
Ob es bei Eröffnung des Internetverkehrs für die Kinder einer einweisenden Belehrung bedarf, ist
nach dem Alter und dem Grad der Vernunft der jeweiligen Nutzer im Einzelfall zu entscheiden.
5. Bei einem volljährigen Kind, das nach allgemeiner Lebenserfahrung im Umgang mit Computer- und
Internettechnologie einen Wissensvorsprung vor seinen erwachsenen Eltern hat, kann es sinnvollerweise
keiner einweisenden Belehrung über die Nutzung des Internets bedürfen. In diesem Fall bleibt es
bei der Beurteilung, dass die Eltern ein konkretes Familienmitglied nicht ohne Anlass der
Begehung unerlaubter Handlungen verdächtigen müssen und dementsprechend zur Einleitung von
Überwachungsmaßnahmen nicht verpflichtet sind.
MIR 2007, Dok. 201
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 23.05.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/703
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