Rechtsprechung
BGH, Beschluss vom 04.04.2007 - Az. III ZB 109/06
Zur Ausgangskontrolle, wenn die richtig adressierte Berufungsschrift durch Telefax an ein unzuständiges Gericht gesendet wird, und zur Weiterleitungspflicht dieses Gerichts.
ZPO § 233
Leitsätze:*1. Zur Ausgangskontrolle, wenn die richtig adressierte Berufungsschrift durch
Telefax an ein unzuständiges Gericht gesendet wird, und zur Pflicht dieses Gerichts,
die Berufungsschrift im ordentlichen Geschäftsgang weiterzuleiten.
2. Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen
Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal zu übertragen.
Das gilt auch fĂĽr die Ăśbermittlung einer Berufungsschrift mittels eines Telefaxes.
Allerdings muss der Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen,
dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird.
Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht
ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird,
um Fehler bei der Eingabe, der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Ăśbertragung in den
Schriftsatz aufdecken zu können.
2. Im Einzelfall darf sich der Rechtsanwalt (oder sein/e BĂĽrovorsteher/in) auf ein
seit Jahren bewährtes (Adress-) EDV-Programm in der jeweils neuesten Fassung verlassen
und ist nicht gehalten, etwa eine Abgleichung der Faxnummer mit den Angaben in
Anschreiben des Gerichts oder im Telefonbuch vorzunehmen. Dies wĂĽrde dem Einsatz
eines entsprechenden EDV-Programms die Rationalisierungswirkung nehmen.
Nur in einem derartigen Ausnahmefall ist ein Verschulden in der Ausgangskontrolle
ausgeschlossen oder können die Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle verringert werden.
3. Die Geschäftsstelle eines (unzuständigen) Gerichts ist weder zu einer inhaltlichen Überprüfung
noch dazu verpflichtet, den RechtsmittelfĂĽhrer innerhalb der Rechtsmittelfrist telefonisch oder
per Telefax auf eine fehlerhafte Einlegung des Rechtsmittels hinzuweisen.
Der normale Geschäftsgang muss nicht darauf gerichtet sein, fehlgeleitete Schriftstücke frühzeitig
zu entdecken und gesondert zu befördern.
4. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf ein Rechtssuchender
darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten,
aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin
weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung
an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden
kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht
eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung unabhängig davon
zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht
(vgl. BVerfGE 93, 99, 115 f; BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 2005, 2137, 2138).
Der Bundesgerichtshof
ist dieser Rechtsprechung gefolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2000 - III ZB 28/00 -
NJW-RR 2000, 1730, 1731; Beschlüsse vom 28.01.2003 – Az. VI ZB 29/02; vom
6. 06.2005 – Az. II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom 3.07.2006 – Az. II ZB 24/05 - NJW 2006, 3499 Rn. 5).
MIR 2007, Dok. 180
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 08.05.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/682
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