Rechtsprechung
LG München I, Urteil vom 05.04.2007 - Az. 12 O 22084/06
Verfall von Amazon-Gutscheinen - Eine Gültigkeitsbefristung für Gutscheine auf ein Jahr greift grundsätzlich in das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung ein und ist unwirksam. Grundsätzlich gilt für Gutscheine die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren.
BGB §§ 195, 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 807
Leitsätze:*1. Bei Geschenkgutscheinen handelt es sich um ein kleines Inhaberpapier im Sinne
des § 807 BGB. Diesem liegt ein kaufrechtlicher Vertrag zugrunde, bei dem der Kunde
den Kaufpreis vorab an den ausgebenden Unternehmer bezahlt, dafür den Gutschein
erhält, der seinerseits dem jeweiligen Gutscheininhaber ermöglicht, aus dem
Sortiment des Unternehmers eine Ware auszuwählen und diese gegen Einlösung eines
Teils oder des ganzen Gutscheinbetrags zu erwerben.
Bei dem einem Gutscheininhaber eingeräumten Anspruch handelt es sich damit um einen
Erfüllungsanspruch, den dieser durch die Bestimmung der ausgewählten Ware
konkretisieren kann. Damit gilt für diesen Anspruch die 3-jährige Verjährungsfrist
gem. § 195 BGB.
2. In einer Regelung (hier: in Allgemeinen Geschäftsbedingungen), die die Gültigkeit von Gutscheinen (hier: Amazon Geschenkgutscheine)
auf ein Jahr begrenzt, liegt eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften des bürgerlichen
Rechts, die eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen (§ 195 BGB).
Denn durch die Gültigkeitsbefristung wird eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Anspruchs
eines Gutscheininhabers bestimmt. Ausschlussfristen für einen Anspruch kennt das bürgerliche Recht für
schuldrechtliche Verträge abgesehen von der Regelung der Verjährung aber nicht.
3. Eine Gültigkeitsbefristung auf ein Jahr für Gutscheine greift in das Äquivalenzverhältnis von Leistung
und Gegenleistung ein, da der Kunde, der den Gutschein erworben hat, seine Leistung bereits im
voraus erbracht hat, der Anspruch des Gutscheinsinhabers gegen die Beklagte jedoch nur während
der Gültigkeitsbefristung geltend gemacht werden und eingelöst werden kann und bei nicht
rechtzeitiger Geltendmachung binnen eines Jahres ersatzlos verfällt.
Diese Abweichung kann auch unangemessen sein, wenn eine solche Befristung derart stark von den
Grundregelungen des bürgerlichen Rechts für schuldrechtliche Verträge abweicht, dass
nachvollziehbare Interessen des Gutscheinausgebenden grundsätzlich nicht zu erkennen ist.
4. Zwar kann nicht jede zeitliche Begrenzung der Gültigkeitsdauer als nicht hinnehmbare Verletzung des Äquivalenzprinzips
i.V.m. dem Verjährungsinstitut und als unangemessene Benachteiligung des Kunden angesehen werden.
Ausschlussfristen sind in weiten Bereichen üblich und werden unter Berücksichtigung der
berechtigten Interessen der beiderseits Beteiligten häufig nicht als unangemessen anzusehen sein.
Die Frage der unangemessenen Benachteiligung ist vielmehr im Einzelfall und ihm Rahmen der Abwägung
des Interesses des Kunden einerseits und dem Interesse des Unternehmers andererseits zu klären.
Auf der Seite des Unternehmers können etwa die Kostenbelastung und ein erhöhter Verwaltungsaufwand sein (hier verneint).
Auf der Seite des Kunden ist in Ansatz zu bringen, dass durchaus Gutscheine mit hohen Beträgen (hier: bis zu 500,00 EUR)
nach einem Jahr ersatzlos verfallen können.
MIR 2007, Dok. 179
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 08.05.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/681
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
OLG Koblenz, Beschluss vom 23.10.2017 - 9 U 895/17, MIR 2017, Dok. 042
MO ./. MALM - Zu den Voraussetzungen eines Vorbenutzungsrechts im Designrecht
Bundesgerichtshof, MIR 2017, Dok. 027
Tabakwerbung auf Internetseite eines Tabakherstellers unzulässig
Bundesgerichtshof, MIR 2017, Dok. 037
Identitätsdiebstahl - Die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter Dienstleistungen ist "per se" wettbewerbswidrig
BGH, Urteil vom 06.06.2019 - I ZR 216/17, MIR 2019, Dok. 035
Eilantrag und Rechtsmissbrauch - Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist rechtsmissbräulich, wenn sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele überwiegen
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.05.2024 - 6 W 41/24, MIR 2024, Dok. 071