Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Urteil vom 26.11.2020 - I ZR 169/19
Auf die Aushändigung kommt es an - Zu den Voraussetzungen für den Beginn der Widerrufsfrist und den Verlust des Widerrufsrechts (hier beim Maklervertrag)
BGB § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 2, § 356 Abs. 3 und 4, § 357 Abs. 8, § 652, Abs. 1; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 4 Abs. 2 Satz 1
Leitsätze:*1. Art. 246a § 4 Abs. 2 Satz 1 EGBGB fordert, dass die Informationen über das Widerrufsrecht vor Abgabe der Vertragserklärung "zur Verfügung gestellt" werden müssen, und zwar grundsätzlich in Papierform, ausnahmsweise bei Zustimmung des Verbrauchers auch auf einem anderen dauerhaften Datenträger. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU sieht ein "Bereitstellen" dieser Informationen auf Papier oder einem dauerhaften Datenträger vor. Ein "Zur-Verfügung-Stellen" und ein "Bereitstellen" bedeutet, dass dem Verbraucher die Informationen physisch übergeben werden müssen, wie auch der Verweis auf Papier oder ein anderes dauerhaftes Medium erkennen lässt. Die bloße Kenntnisnahme oder die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt danach nicht.
2.
a) Der Beginn der Widerrufsfrist bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen setzt nicht nur voraus, dass der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts informiert hat, sondern erfordert darüber hinaus, dass der Unternehmer dem Verbraucher diese Informationen gemäß Art. 246a § 4 Abs. 2 Satz 1 EGBGB auf Papier oder, wenn der Verbraucher zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt hat. Zu diesen Informationen gehört auch diejenige über das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2 zum EGBGB.
b) § 356 Abs. 4 Satz 1 BGB fordert für den Verlust des Widerrufsrechts eine Erklärung des Verbrauchers, dass er Kenntnis vom Verlust seines Widerrufsrechts bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer hat. Das Widerrufsrecht erlischt nicht, wenn der Unternehmer dem Verbraucher eine Widerrufsbelehrung bei Vertragsschluss zwar erteilt, die Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2 zum EGBGB jedoch nicht ausgehändigt hat.
c) Hat der Unternehmer dem Verbraucher die Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2 zum EGBGB nicht ausgehändigt, steht ihm kein Anspruch gemäß § 357 Abs. 8 BGB auf Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung zu.
3. Nach § 356 Abs. 4 Satz 1 BGB erlischt das Widerrufsrecht bei einem Vertrag zur Erbringung von Dienstleistungen, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat und mit der Ausführung der Dienstleistung erst begonnen hat, nachdem der Verbraucher dazu seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hat und gleichzeitig seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert. Bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag muss die Zustimmung des Verbrauchers nach § 356 Abs. 4 Satz 2 BGB auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt werden. Auch der Wertersatzanspruch aus § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB setzt bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag voraus, dass der Unternehmer dem Verbraucher die nach § 357 Abs. 8 Satz 2 BGB zu erteilenden Informationen gemäß Art. 246a § 4 Abs. 2 Satz 1 EGBGB auf Papier oder, wenn der Verbraucher zugestimmt hat, auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt hat.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 21.12.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3036
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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