Kurz notiert
Bundesverfassungsgericht
Razzia bei Politmagazin "CICERO" war rechtswidrig - Durchsuchung und Beschlagnahme verletzten die Pressefreiheit
BVerfG, Urteil vom 27.02.2007, Az. 1 BvR 538/06; 1 BvR 2045/06
MIR 2007, Dok. 074, Rz. 1
1
Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen
einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit des Beschwerdeführers dar. Die Gerichte haben
dem verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Die bloße Veröffentlichung eines
Dienstgeheimnisses in der Presse durch einen Journalisten reicht weiterhin nicht aus, um einen zu einer Durchsuchung und Beschlagnahme
ermächtigenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich sind vielmehr spezifische
tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und
damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des Politmagazins
CICERO nicht vor.
Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
Entscheidung des Gerichts
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Störung der redaktionellen Arbeit
Die Durchsuchung der Presseräume stelle wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greife in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.
Gebotener Informantenschutz wurde nicht gewahrt
Der Eingriff sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer habe im Fall CICERO für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme von Beweismitteln nicht ausgereicht.
Keine Beihilfehandlung zu § 353b StGB
So stelle § 353 b StGB die unbefugte Offenbarung eines Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung des Geheimnisses in der Presse deute allerdings nicht zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB sei beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen. Wolle der Geheimnisträger dem Journalisten nur Hintergrundinformationen liefern und erfolge die Veröffentlichung abredewidrig, sei die Tat mit der Offenbarung des Geheimnisses bereits beendet; dann könne eine Beihilfe durch die nachfolgende Veröffentlichung aber gar nicht mehr geleistet werden. In solchen Fällen könne eine Durchsuchung und Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden, so das Gericht.
Durchsuchungen und Beschlagnahmen zur Informantenermittlung unzulässig
Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige seien weiterhin verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfe in gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden. Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutzes sei besonders groß, wenn der Verdacht einer Beihilfe allein darauf gestützt werde, dass das Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen Situation könne die Staatsanwaltschaft den betroffenen Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens zwar - verfassungsrechtlich zulässig - zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu bringen. Deshalb müssten die strafprozessualen Normen über die Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden, dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern seien vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.
Damit: Maßnahmen widersprachen Pressefreiheit und Informantenschutz
Nach diesen Maßstäben habe die vorliegend angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss des Informantenschutzes widersprochen. Die Anordnung sei in einer Situation erfolgt, in der es keine Anhaltspunkte außer der Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben habe, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.
Schließlich: Recht auf effektiven Rechtschutz verletzt
Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlagnahmebestätigung gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigungen der Pressefreiheit musste es dem Beschwerdeführer ermöglicht werden, die Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 21/2007 des BVerfG vom 27.02.2007
Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
Entscheidung des Gerichts
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Störung der redaktionellen Arbeit
Die Durchsuchung der Presseräume stelle wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greife in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.
Gebotener Informantenschutz wurde nicht gewahrt
Der Eingriff sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer habe im Fall CICERO für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme von Beweismitteln nicht ausgereicht.
Keine Beihilfehandlung zu § 353b StGB
So stelle § 353 b StGB die unbefugte Offenbarung eines Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung des Geheimnisses in der Presse deute allerdings nicht zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB sei beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen. Wolle der Geheimnisträger dem Journalisten nur Hintergrundinformationen liefern und erfolge die Veröffentlichung abredewidrig, sei die Tat mit der Offenbarung des Geheimnisses bereits beendet; dann könne eine Beihilfe durch die nachfolgende Veröffentlichung aber gar nicht mehr geleistet werden. In solchen Fällen könne eine Durchsuchung und Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden, so das Gericht.
Durchsuchungen und Beschlagnahmen zur Informantenermittlung unzulässig
Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige seien weiterhin verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfe in gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden. Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutzes sei besonders groß, wenn der Verdacht einer Beihilfe allein darauf gestützt werde, dass das Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen Situation könne die Staatsanwaltschaft den betroffenen Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens zwar - verfassungsrechtlich zulässig - zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu bringen. Deshalb müssten die strafprozessualen Normen über die Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden, dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern seien vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.
Damit: Maßnahmen widersprachen Pressefreiheit und Informantenschutz
Nach diesen Maßstäben habe die vorliegend angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss des Informantenschutzes widersprochen. Die Anordnung sei in einer Situation erfolgt, in der es keine Anhaltspunkte außer der Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben habe, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.
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(tg) - Quelle: PM Nr. 21/2007 des BVerfG vom 27.02.2007
Online seit: 27.02.2007
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