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Rechtsprechung



KG Berlin, Urteil vom 14.07.2006 - Az. 9 U 228/05

Identifizierende Bildberichterstattung - Die Befugnis zur Bildveröffentlichung erstreckt sich nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird.

BGB § 1004 Abs. 1 S. 2, § 823; KUG § 22, § 23 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1

Leitsätze:*

1. Ohne eine Einwilligung des Abgebildeten gemäß § 22 KUG dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte veröffentlicht werden (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG).

2. Bei der Verhaftung einer Person handelt es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis. Denn auch Straftaten - und die mit deren Verfolgung im Zusammenhang stehenden Maßnahmen - gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist (vgl. BverfGE 35, 202/230 ff. - Lebach; NJW 2006, 599/600 f.; KG Berlin, NJW 2004, 3637). Straftäter sind jedenfalls dann als relative Personen der Zeitgeschichte anzusehen, wenn die Schwere der Tat, die Person des Täters oder besondere Umstände die Straftat deutlich aus dem Kreis der alltäglichen Kriminalität herausragen.

3. Auch wenn der Straftäter nicht geständig, überführt oder verurteilt ist, sondern nur ein Tatverdächtiger, kann er nach den Umständen des Falls eine relative Person der Zeitgeschichte sein und nach den Umständen des Falls - insbesondere in Fällen der Schwer- oder Schwerstkriminalität oder wegen der öffentlichen Stellung des Verdächtigen - eine (identifizierende) Bildberichterstattung zulässig sein.

4. Die Befugnis zu einer Bildveröffentlichung erstreckt sich nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten (hier: eines Straftäters) verletzt wird (§ 23 Abs. 2 KUG).

5. Gerade in Fällen der Verdachtsberichterstattung kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein besonderes Gewicht zu. Insoweit ist etwa bei einem Straftäter zu berücksichtigen, wenn den Umständen der Verhaftung ein eigenständiger Verletzungseffekt zukommt (hier: Im Bild gezeigt wurde nicht nur eine Festnahmesituation, die den Betroffenen nicht in einer über diesen Umstand hinausgehenden Weise den Blicken der Öffentlichkeit preisgibt. Der Öffentlichkeit vorgeführt wurde vielmehr ein zum Teil entblößter und von Wunden im Gesicht (als Folge des Zugriffs) gezeichneter am Boden liegender Festgenommener).

6. Nicht alles, was an staatlichen Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt ist, darf im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde des Betroffenen auch der breiten Öffentlichkeit gezeigt werden. Daraus folgt allerdings nicht, dass die Wiedergabe einer Festnahme generell unzulässig ist, nur weil sich der Betroffene in dieser Situation nicht gegen das Fotografiert-Werden wehren kann.

MIR 2007, Dok. 046


Download: Entscheidungsvolltext PDF


Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.02.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/548

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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