Rechtsprechung
OLG Köln, Urteil vom 8.12.2006 - Az. 19 U 109/06
"Der Rübenroderfall" - Zur Schadenersatzpflicht des eBay-Verkäufers bei großer Diskrepanz zwischen Wert und tatsächlichem Kaufpreis eines Artikels
BGB § 116, § 119, § 138, § 242, § 280 Abs. 1, § 281 Abs. 1, § 433 Abs. 1
Leitsätze:*1. Die eBay-Geschäftsbedingungen gelten zwar nicht unmittelbar zwischen den Vertragsparteien, können aber zur Auslegung des
Gewollten herangezogen werden und lassen Schlussfolgerungen auf die wechselseitigen Erwartungen von Anbieter und Bieter und
deren gemeinsames Verständnis über die Funktionsweise der Online-Auktion zu.
2. In Anbetracht der von eBay eingeräumten Möglichkeit, die Verkaufsarten "Auktion" und "Sofort Kaufen" miteinander zu verbinden,
kann und darf ein Käufer berechtigterweise davon ausgehen, dass der Verkäufer - soweit er beide Angebotsformate nutzt - beide
Angebots-Optionen verknüpft hat. Insbesondere erweist sich ein eBay-Angebot insoweit weder bei objektiver Betrachtungsweise
noch von dem maßgeblichen Empfängerhorizont des Käufers aus gesehen als widersprüchlich. Das gilt auch unter Berücksichtung
eines "Sofort Kaufen" - Preises von 60.000 EUR einerseits und eines Startpreises von 1 EUR für die Auktion andererseits.
Ein, für den Käufer in der Regel nicht erkennbarer, Vorbehalt des Verkäufers den Artikel nicht unter einem bestimmten Preis (hier: 60.000 EUR)
verkaufen zu wollen ist dann gemäß § 166 BGB unbeachtlich und es liegt gleichwohl eine wirksame Willenserklärung vor, da der Verkäufer
bei Anwendung der im Verkehr erforderlichern Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der
Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden darf.
3. Auch bei einer großen Diskrepanz von Wert und Kaufpreis eines Artikels - bei eBay - ist von einer Unwirksamkeit des
Vertrages nach § 138 BGB in der Regel nicht auszugehen. Zwar besteht bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung
und Gegenleistung grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung, die in der Regel
eine weitere Prüfung subjektiver Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) erübrigt, allerdings sind auch hier die
jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, die bei Geschäften im Rahmen von Internetauktionen (hier: eBay) dazu
führen, dass auch bei einem groben Missverhältnis von Preis und Leistung nicht ohne weiteres der Rückschluss auf eine verwerfliche
Gesinnung des Käufers bzw. auf ein Ausnutzen einer Schwäche des Verkäufers geschlossen werden kann.
Denn die Teilnehmer einer Internetauktion sind sich regelmäßig bewusst, dass die Ermittlung der Höhe der Gegenleistung von
anderen Faktoren als allein dem üblichen Marktwert eines Artikels abhängt. Die Erwartung des Verkäufers, durch geschicktes
Einstellen eines Artikels ein möglicherweise besonders gutes Geschäft zu machen, und demgegenüber die Vorstellung des Bieters,
im richtigen Moment zu einem besonders günstigen "Schnäppchen" zu kommen, gehören gerade zum Wesen einer derartigen Vertragsanbahnung.
Dem widerspräche aber, wenn bei der Wahl einer solchen Verkaufsplattform die Präsentation eines Artikels nur dann verbindlich
sein soll, wenn auch ein "angemessener" Preis erzielt wird.
4. Obgleich sich ein Verkäufer bei dem Einstellen eines Artikels auf einer Internethandelsplattform (hier: eBay) geirrt haben kann, mag
dies noch keinen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum begründen, wenn der Erklärende/Verkäufer die Erklärung in dem Bewusstsein
abgibt, ihren Inhalt nicht genau zu kennen. Denn dann liegt eine Fehlvorstellung des Erklärenden nicht vor.
5. Auch wirtschaftlich unvernünftige, möglicherweise auch untragbare Geschäfte sind von der Privatautonomie gedeckt und werden
grundsätzlich als schützenswert angesehen, sofern nicht die gesetzlich geregelten Gründe für eine Nichtigkeit vorliegen.
Gegen die Schutzwürdigkeit eines Käufers spricht insofern auch nicht, dass unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten kein Grund
ersichtlich ist, weshalb er zu Lasten des Verkäufers derart preiswert bzw. unter Wert ein hochpreisiges Gerät (hier: Rübenroder)
bzw. im Falle der Nichtleistung des Beklagten entsprechend hohen Schadensersatz erhalten sollte.
6. Die Internetplattform eBay bietet verschiedenste Möglichkeiten Verkäufe unter Wert zu verhindern, etwa indem die Ware von
vornherein nur gegen einen Festpreis angeboten oder ein - für den Verkäufer erträglicher - Startpreis angegeben werden kann.
Nutzt der Beklagte als Verkäufer diese Möglichkeiten aus rechtlich unbeachtlichen Gründen nicht, etwa weil er bei der Eingabe
die gebotene Sorgfalt außer Acht lässt und seine Angaben zudem nicht kontrolliert, besteht nach der Rechtsordnung kein Anlass,
das Risiko eines Verkaufes unter Wert dem Käufer aufzubürden, indem ihm seine Rechte aus dem Verkauf abgeschnitten werden.
Unternimmt der Verkäufer gleichwohl nichts, um sein Angebot rückgängig zu machen oder die Auktion vorzeitig zu beenden, wozu
eBay durchaus Möglichkeiten bietet, und nimmt er spätestens ab diesem Zeitpunkt sehenden Auges das Risiko eines erheblichen
Verlustgeschäfts in Kauf, kann dies um so weniger zu Lasten des Käufers (und seiner Schutzwürdigkeit) gehen.
MIR 2007, Dok. 012
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 10.01.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/514
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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