Rechtsprechung
LG Saarbrücken, Urteil vom 9.08.2006 - Az. 7 I O 77/06
DocMorris - Ein Verhalten, das sich auf einen von einer zuständigen Verwaltungsbehörde erlassenen Verwaltungsakt stützt, ist nur dann unlauter, wenn dieser Verwaltungsakt gemäß § 44 VwVfG nichtig ist.
UWG § 4 Nr. 11; VwVfG § 44; Apothekengesetz § 1, § 2, § 8; EGV Art. 30, Art. 152 Abs. 5
Leitsätze:*1. Das Apothekengesetz stellt eine Marktverhaltensregel im Interesse der Marktteilnehmer dar,
sodass § 4 Nr. 11 UWG anwendbar ist. Aus der Verletzung von Marktverhaltensregelungen ergibt sich daher
grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu Gunsten der Wettbewerber, sofern der Wettbewerb hierdurch nicht
nur unerheblich beeinträchtigt wird.
2. Ein Verhalten, das sich auf einen von einer zuständigen Verwaltungsbehörde erlassenen Verwaltungsakt
stützt, ist nur dann unlauter, wenn dieser Verwaltungsakt gemäß § 44 VwVfG nichtig ist. Die Nichtigkeit
eines Verwaltungsakts setzt nach dem zur Anwendung kommenden § 44 Abs. 1 VwVfG voraus, dass der
Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller
in Betracht kommenden Umstände offensichtlicht ist.
3. Besonders schwerwiegende Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG sind solche, die in einem so
schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen
der Gemeinschaft stehen, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit ihm intendierte
Wirkung hätte.
4. Ein Verstoß gegen das Apothekengesetz (hier: Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine DocMorris Filiale
und Versandhandelsfiliale entgegen §§ 1, 2, 8 Apothekengesetz) als solches führt für sich allein noch nicht
zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes.
5. Da die Regeln für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung der Bevölkerung, worunter auch das Apothekenrecht zählt, noch nicht harmonisiert wurden, gelten für dieses Rechtsgebiet Art. 30, 152 Abs. 5 EGV. Es ist daher nach geltender Rechtslage Sache der Mitgliedsstaaten in den
durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmten, auf welchem Niveau sie den Schutz für Gesundheit und Leben
von Menschen gewährleisten wollen. Ein offensichtlicher und schwerwiegender Fehler der Erteilung einer
Betriebserlaubnis für eine DocMorris Filiale und Versandhandelsfiliale i.S.d. § 44 VwVfG ergibt sich damit
derzeit auch nicht aus Gemeinschaftsrecht.
MIR 2006, Dok. 251
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.12.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/469
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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