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BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 - Az. 6 C 5.05
Die Meldebehörde darf eine einfache Melderegisterauskunft (§ 21 Abs. 1 MRRG) nicht erteilen, wenn diese erkennbar für Zwecke der Direktwerbung begehrt wird und der Betroffene einer Weitergabe seiner Daten für solche Zwecke zuvor ausdrücklich widersprochen hat.
MRRG § 6, § 21 Abs. 1, Abs. 5; HmbMG § 6, § 34; GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
Leitsätze:*1. Die Meldebehörde darf eine einfache Melderegisterauskunft (§ 21 Abs. 1 MRRG) nicht erteilen, wenn diese erkennbar für
Zwecke der Direktwerbung begehrt wird und der Betroffene einer Weitergabe seiner Daten für solche Zwecke zuvor ausdrücklich
widersprochen hat.
2. Werden schutzwürdige Interessen des Betroffenen durch eine einfache Melderegisterauskunft im Einzelfall beeinträchtigt, so ist diese nach
§ 6 MRRG unzulässig.
Die nach § 6 MRRG zu beachtenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen gehen über die schutzwürdigen Interessen
hinaus, die zu einer Auskunftssperre nach § 21 Abs. 5 MRRG führen, denn § 6 MRRG verlangt nicht, dass sie ähnliches Gewicht haben
wie die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit. Vielmehr will § 6 MRRG der Meldebehörde eine "Feinsteuerung" immer dann
ermöglichen, wenn sie die Voraussetzungen für eine (einfache) Melderegisterauskunft grundsätzlich als erfüllt ansieht, aber dennoch
konkrete Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen hat.
3. Das Melderegister ist zwar in erster Linie ein behördeninternes Register, das sowohl dem innerdienstlichen Gebrauch der
Meldebehörden dienen als auch das Informationsinteresse anderer Behörden befriedigen soll. Es hat jedoch, wie sich aus
§ 21 MRRG (§ 34 HmbMG) ergibt, außerdem den Zweck, dem Informationsbedürfnis des privaten Bereichs, insbesondere der Wirtschaft,
Rechnung zu tragen.
4. Auch das Interesse, das darauf gerichtet ist, die Zusendung unerwünschter Werbung abzuwehren, ist im Rahmen der Abwägung nach
§ 6 MRRG (§ 6 HmbMG) zu berücksichtigen und unterliegt dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
5. Das in § 21 Abs. 1 Satz 1 MRRG und § 34 Abs. 1 Satz 1 HmbMG vorausgesetzte allgemeine Informationsbedürfnis hinsichtlich der dort
genannten Basisdaten Vor- und Familienname, Doktorgrad und Anschrift stellt grundsätzlich ein das etwaige private Geheimhaltungsinteresse
überwiegendes, die Grundrechtseinschränkung rechtfertigendes Allgemeininteresse dar. Ein Interesse des Einzelnen, sich gegenüber jedermann
persönlich unerreichbar zu machen, ist vorbehaltlich der in § 21 Abs. 5 Satz 1 MRRG (§ 34 Abs. 5 Satz 1 HmbMG) geregelten Ausnahmefälle nicht
schutzwürdig.
6. Direktwerbung ist allerdings durch kein "Interesse der Allgemeinheit" gedeckt, sondern lediglich Ausdruck eines rein privaten Interesses,
das allein dem Interesse des Werbungsadressaten entgegengesetzt ist und keine höhere Geltung beanspruchen kann als dieses; im Gegenteil
muss im Falle des Widerspruchs des umworbenen Bürgers das Werbeinteresse des Unternehmers hinter dessen Interesse an der Verschonung von
Werbung zurückstehen.
7. Dem Interesse des einzelnen Bürgers, unerwünschte Werbung nicht erst durch den Widerspruch gegenüber dem Werbenden (§ 28 Abs. 4 BDSG) abzuwehren,
sondern diese im Wege einer meldebehördlichen Übermittlungssperre bereits an der Quelle abzufangen, steht ein unverhältnismäßiger, die
Meldebehörde überfordernder Verwaltungsaufwand nicht entgegen.
MIR 2006, Dok. 244
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 26.11.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/462
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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