Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 64/24
Gleichartigkeit des Leistungsangebots - Zum konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen einer Fluggesellschaft und einem Fluggastrechteportal in Bezug auf Angebote zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen
UWG §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 8 Abs. 3 Nr. 1; Verordnung (EG) Nr. 261/2004
Leitsätze:*1. Zwischen einer Fluggesellschaft, die eine internetgestützte Eingabemöglichkeit zur Geltendmachung von gegen sie gerichteten Entschädigungsansprüchen ihrer Kunden nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 anbietet, und dem Betreiber eines Internetportals, das ebenfalls der Geltendmachung solcher Entschädigungsansprüche dient, besteht wegen einer hinreichenden Gleichartigkeit des Leistungsangebots ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG.
2. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis liegt vor, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann. Ein solcher Substitutionswettbewerb setzt voraus, dass sich die beteiligten Unternehmer auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt betätigen, ohne dass sich der Kundenkreis und das Angebot der Waren oder Dienstleistungen vollständig decken müssen (BGH, Urteil vom 29.03.2007 - I ZR 122/04 - Bundesdruckerei; BGH, Urteil vom 17.10.2013 - I ZR 173/12 - Werbung für Fremdprodukte). Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis setzt nicht voraus, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe oder in der gleichen Branche tätig sind, solange sie letztlich gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen (BGH, Urteil vom 10.04.2014 - I ZR 43/13 - nickelfrei; BGH, Urteil vom 21.01.2016 - I ZR 252/14 - Kundenbewertung im Internet, mwN). Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann - bei Fehlen eines Substitutionsverhältnisses - ferner vorliegen, wenn der Wettbewerb einer Partei durch die Handlung einer anderen Partei beeinträchtigt wird (Beeinträchtigungswettbewerb).
3. Weil im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, genügt für die Annahme eines solchen, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Dies ist der Fall, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH, Urteil vom 10.04.2014 - I ZR 43/13 - nickelfrei; BGH, Urteil vom 26.01.2017 - I ZR 217/15 - Wettbewerbsbezug; BGH; Urteil vom 24.02.2022 - I ZR 128/21 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II; BGH, Urteil vom 21.11.2024 - I ZR 107/23 - DFL-Supercup, jeweils mwN). Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn die Maßnahme den Anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft und es an jeglichem Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb fehlt. Für die Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses ist vielmehr erforderlich, dass die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (vgl. BGH; Urteil vom 17.10.2013 - I ZR 173/12 - Werbung für Fremdprodukte; BGH, Urteil vom 10.04.2014 - I ZR 43/13 - nickelfrei; BGH, Urteil vom 26.01.2017 - I ZR 217/15 - Wettbewerbsbezug; BGH, Urteil vom 21.11.2024 - I ZR 107/23 - DFL-Supercup). Da es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung regelmäßig nur um die konkret beanstandete Wettbewerbshandlung geht, genügt es, dass die Parteien durch eine Handlung miteinander in Wettbewerb getreten sind, auch wenn ihre Unternehmen im Übrigen unterschiedlichen Branchen oder Wirtschaftsstufen angehören (BGH, Urteil vom 24.06.2004 - I ZR 26/02 - Werbeblocker I; BGH; Urteil vom 17.10.2013 - I ZR 173/12 - Werbung für Fremdprodukte; BGH, Urteil vom 21.11.2024 - I ZR 107/23 - DFL-Supercup, mwN).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 08.04.2025
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3463
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
BGH, Urteil vom 15.04.2021 - I ZR 134/20, MIR 2021, Dok. 042
Microstock-Portale - Verzicht auf Urheberbenennung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam!?
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2022, Dok. 073
test.net - Zur Irreführung durch die Verwendung der Domain "test.net" für die Veröffentlichung algorithmusbasierter Produktvergleiche und die Bezeichnung dieser Vergleiche als "Tests"
OLG Köln, Urteil vom 30.10.2020 - 6 U 136/19, MIR 2021, Dok. 011
Rückruf- und Beseitigungspflichten im Rahmen der Unterlassungshaftung
BGH, Beschluss vom 17.10.2019 - I ZB 19/19, MIR 2020, Dok. 007
Koch Media - Deckelung des Gegenstandswerts nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG auf EUR 1000,00 mit Unionsrecht vereinbar
EuGH, Urteil vom 28.04.2022 - C-559/20, MIR 2022, Dok. 039