Rechtsprechung // Datenschutzrecht
BGH, Urteil vom 18.11.2024 - VI ZR 10/24
Facebook-Scraping - Bloßer und kurzzeitiger Kontrollverlust als immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO
DSGVO Art. 82 Abs. 1
Leitsätze:*1. Immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung sein. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.
2. Die betroffene Person muss den Nachweis erbringen, dass sie einen (hier in einem bloßen Kontrollverlust als solchem bestehenden) Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO erlitten hat. Ist dieser Nachweis erbracht, steht der Kontrollverlust also fest, stellt dieser selbst den immateriellen Schaden dar und es bedarf keiner sich daraus entwickelnden besonderen Befürchtungen oder Ängste der betroffenen Person; diese wären lediglich geeignet, den eingetretenen immateriellen Schaden noch zu vertiefen oder zu vergrößern. Aber auch dann, wenn ein Kontrollverlust nicht nachgewiesen werden kann, kann die begründete Befürchtung einer Person ausreichen, dass ihre personenbezogenen Daten aufgrund eines Verstoßes gegen die DSGVO von Dritten missbräuchlich verwendet werden, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Dann muss die Befürchtung samt ihrer negativen Folgen ordnungsgemäß nachgewiesen sein; die bloße Behauptung einer Befürchtung ohne nachgewiesene negative Folgen genügt demgegenüber ebenso wenig wie ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung durch einen unbefugten Dritten (vgl. zu alledem: EuGH, Urteil vom 20.06.2024 - C-590/22 - PS GbR; EuGH, Urteil vom 25. 01.2024 - C-687/21 – MediaMarktSaturn; EuGH, Urteil vom 14.12.2023 - C-340/21 - Natsionalna agentsia za prihodite).
3. Ist allein ein Schaden in Form eines Kontrollverlusts an personenbezogenen Daten gegeben, weil weitere Schäden nicht nachgewiesen sind, hat der Tatrichter bei der Schätzung des Schadens insbesondere die etwaige Sensibilität der konkret betroffenen personenbezogenen Daten (vgl. Art. 9 Abs. 1 DSGVO) und deren typischerweise zweckgemäße Verwendung zu berücksichtigen. Weiter hat er die Art des Kontrollverlusts (begrenzter/unbegrenzter Empfängerkreis), die Dauer des Kontrollverlusts und die Möglichkeit der Wiedererlangung der Kontrolle etwa durch Entfernung einer Veröffentlichung aus dem Internet (inkl. Archiven) oder Änderung des personenbezogenen Datums (z.B. Rufnummernwechsel; neue Kreditkartennummer) in den Blick zu nehmen. Als Anhalt für einen noch effektiven Ausgleich könnte in den Fällen, in denen die Wiedererlangung der Kontrolle mit verhältnismäßigem Aufwand möglich wäre, etwa der hypothetische Aufwand für die Wiedererlangung der Kontrolle (hier insbesondere eines Rufnummernwechsels) dienen.
4. Von Rechts wegen hat der Senat keine Bedenken, den notwendigen Ausgleich für den (vorliegend) eingetretenen Kontrollverlust als solchem in einem Fall wie dem streitgegenständlichen mit einer Größenordnung von EUR 100,00 zu bemessen. Macht der Betroffene zudem psychische Beeinträchtigungen geltend, die über die mit dem eingetretenen Kontrollverlust für jedermann unmittelbar zusammenhängenden Unannehmlichkeiten hinausgehen, kann es erforderlich sein, den Betroffenen anzuhören, um die notwendigen Feststellungen hierzu treffen zu können. Ausgehend davon wird gegebenenfalls ein Betrag als Ausgleich festzusetzen sein, der über dem im Falle eines bloßen Kontrollverlustes zuzusprechenden Betrag liegt.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.12.2024
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3427
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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