Kurz notiert // Datenschutzrecht
Bundesgerichtshof
Anforderungen an ein Auslistungsbegehren gegen den Internet-Suchdienst von Google - Relevante und hinreichende Nachweise erforderlich
BGH, Urteil vom 23.05.2023 - VI ZR 476/18; Vorinstanzen: OLG Köln, Urteil vom 08.11.2018 â 15 U 178/17; LG Köln, Urteil vom 22.11.2017 â 28 O 492/15
MIR 2023, Dok. 038, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 23.05.2023 (VI ZR 476/18) zu dem Auslistungsbegehren gegen Google entschieden. Zuvor war das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zwei Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 DSGVO vorgelegt worden. Insbesondere erfordere die Auslistung keine - sie es vorlĂ€ufige - KlĂ€rung der Richtigkeit des ausgelisteten Inhalts im Rahmen eines entsprechenden Rechtsbehelfs. Der Anspruchsteller mĂŒsse fĂŒr seinen Auslistungsantrag insoweit "nur" relevante und ausreichende Nachweise und Belege vorlegen.
Zur Sache:
Der KlĂ€ger ist fĂŒr verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tĂ€tig oder an ihnen beteiligt. Die KlĂ€gerin war seine LebensgefĂ€hrtin und Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, "durch aktive AufklĂ€rung und Transparenz nachhaltig zur BetrugsprĂ€vention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen", erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der KlĂ€ger bebildert. Ăber das GeschĂ€ftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunĂ€chst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Die KlĂ€ger machen geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein. Sie begehren von der Beklagten als der Verantwortlichen fĂŒr die Internetsuchmaschine "Google", es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als Vorschaubilder ("thumbnails") anzuzeigen. Die Beklagte hat erklĂ€rt, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der KlÀger blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 27.07.2020 zunÀchst ausgesetzt und dem Gerichtshof der EuropÀischen Union zwei Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 DSGVO zur Vorabentscheidung vorgelegt.
EuGH: Auslistung hĂ€ngt nicht davon ab, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorlĂ€ufigen KlĂ€rung zugefĂŒhrt worden ist
Der Gerichtshof der EuropĂ€ischen Union hat diese Fragen mit Urteil vom 08.12.2022 (C-460/20) beantwortet. Die Auslistung hĂ€nge nicht davon ab, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorlĂ€ufigen KlĂ€rung zugefĂŒhrt worden ist.
Relevante und hinreichende Nachweise - Belege fĂŒr die offensichtliche Unrichtigekeit
Der Betreiber der Suchmaschine sei verpflichtet, einem Auslistungsantrag stattzugeben, wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorlege, die ihren Antrag zu stĂŒtzen vermögen und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig seien oder zumindest ein fĂŒr diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig sei. Hinsichtlich der Vorschaubilder sei dem Informationswert dieser Fotos - unabhĂ€ngig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, aber unter BerĂŒcksichtigung jedes Textelements, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss ĂŒber den Informationswert dieser Fotos geben kann - Rechnung zu tragen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Revision teilweise erfolgreich
Der Bundesgerichtshof hat daraufhin die mĂŒndliche Verhandlung fortgesetzt. Die Revision war teilweise erfolgreich.
BezĂŒglich der beanstandeten Verweise auf die genannten Artikel hat der Bundesgerichtshof die klagabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestĂ€tigt. Bei einem Artikel fehle es bereits an dem notwendigen Bezug zu der Person des KlĂ€gers. Hinsichtlich der beiden anderen Artikel haben es die KlĂ€ger versĂ€umt, gegenĂŒber der Beklagten den ihnen obliegenden Nachweis zu fĂŒhren, dass die dort enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind.
BezĂŒglich der Vorschaubilder hatte die Revision der KlĂ€ger hingegen Erfolg und der Bundesgerichtshof hat die Beklagte zur Auslistung der Vorschaubilder in der beanstandeten Form verpflichtet. Eine Anzeige der fĂŒr sich genommen nicht aussagekrĂ€ftigen Fotos der KlĂ€ger als Vorschaubilder ohne jeden Kontext sei nicht gerechtfertigt.
(tg) - Quelle: PM Nr. 084/2023 des BGH vom 23.05.2023
Zur Sache:
Der KlĂ€ger ist fĂŒr verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tĂ€tig oder an ihnen beteiligt. Die KlĂ€gerin war seine LebensgefĂ€hrtin und Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, "durch aktive AufklĂ€rung und Transparenz nachhaltig zur BetrugsprĂ€vention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen", erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der KlĂ€ger bebildert. Ăber das GeschĂ€ftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunĂ€chst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Die KlĂ€ger machen geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein. Sie begehren von der Beklagten als der Verantwortlichen fĂŒr die Internetsuchmaschine "Google", es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als Vorschaubilder ("thumbnails") anzuzeigen. Die Beklagte hat erklĂ€rt, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der KlÀger blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 27.07.2020 zunÀchst ausgesetzt und dem Gerichtshof der EuropÀischen Union zwei Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 DSGVO zur Vorabentscheidung vorgelegt.
EuGH: Auslistung hĂ€ngt nicht davon ab, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorlĂ€ufigen KlĂ€rung zugefĂŒhrt worden ist
Der Gerichtshof der EuropĂ€ischen Union hat diese Fragen mit Urteil vom 08.12.2022 (C-460/20) beantwortet. Die Auslistung hĂ€nge nicht davon ab, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorlĂ€ufigen KlĂ€rung zugefĂŒhrt worden ist.
Relevante und hinreichende Nachweise - Belege fĂŒr die offensichtliche Unrichtigekeit
Der Betreiber der Suchmaschine sei verpflichtet, einem Auslistungsantrag stattzugeben, wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorlege, die ihren Antrag zu stĂŒtzen vermögen und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig seien oder zumindest ein fĂŒr diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig sei. Hinsichtlich der Vorschaubilder sei dem Informationswert dieser Fotos - unabhĂ€ngig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, aber unter BerĂŒcksichtigung jedes Textelements, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss ĂŒber den Informationswert dieser Fotos geben kann - Rechnung zu tragen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Revision teilweise erfolgreich
Der Bundesgerichtshof hat daraufhin die mĂŒndliche Verhandlung fortgesetzt. Die Revision war teilweise erfolgreich.
BezĂŒglich der beanstandeten Verweise auf die genannten Artikel hat der Bundesgerichtshof die klagabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestĂ€tigt. Bei einem Artikel fehle es bereits an dem notwendigen Bezug zu der Person des KlĂ€gers. Hinsichtlich der beiden anderen Artikel haben es die KlĂ€ger versĂ€umt, gegenĂŒber der Beklagten den ihnen obliegenden Nachweis zu fĂŒhren, dass die dort enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind.
BezĂŒglich der Vorschaubilder hatte die Revision der KlĂ€ger hingegen Erfolg und der Bundesgerichtshof hat die Beklagte zur Auslistung der Vorschaubilder in der beanstandeten Form verpflichtet. Eine Anzeige der fĂŒr sich genommen nicht aussagekrĂ€ftigen Fotos der KlĂ€ger als Vorschaubilder ohne jeden Kontext sei nicht gerechtfertigt.
(tg) - Quelle: PM Nr. 084/2023 des BGH vom 23.05.2023
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 23.05.2023
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3282
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