Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG München, Beschluss vom 16.09.2021 - 29 U 3437/21 Kart
Dringlichkeitsschädlicher Fristverlängerungsantrag - Wegfall des Verfügungsgrundes durch Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
UWG § 12 Abs. 1; ZPO §§ 936, 920 Abs. 2
Leitsätze:*1. Als dringlichkeitsschädliches Verhalten ist ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist, so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegen-über einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint (OLG München, Beschluss vom 08.08.2019 – 29 W 940/19 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung). Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten dabei nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens, denn die mangelnde Dringlichkeit kann sich auch aus dem prozessualen Verhalten eines Antragstellers ergeben (BVerfG, 03.04.1998, 2 BvR 415/96). So wirkt sich insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus, wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Dieser hat die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (OLG München, Beschluss vom 08.08.2019 – 29 W 940/19 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung).
2. Unabhängig davon, ob ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen ist oder vermutet wird, ist er zu verneinen, wenn sich der Antragsteller bzw. dessen Prozessbevollmächtigter dringlichkeitsschädlich verhält.
3. Insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens wirkt sich nachteilig auf den Verfügungsgrund aus, wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
4. Im Regelfall sind Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge als dringlichkeitsschädlich anzusehen, wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden. Denn mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht in aller Regel zwangsläufig eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs-/Terminsverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde.
5. Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund folglich selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine etwaige Stattgabe des Antrags im Ergebnis ausnahmsweise nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob ein Antragsteller die ihm verlängerte Frist voll ausschöpft.
6. Auch im Berufungsverfahren muss der noch ungesicherte Antragsteller den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen. Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern.
Hier hatte die Antragstellerin einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat gestellt. Dass die Antragstellerin die verlängerte Frist nicht voll ausgeschöpft hat, sei ohne Belang, da sich das dringlichkeitsschädliche Verhalten bereits aus der Antragstellung selbst ergebe, so das Gericht. Die Berufung wurden auf den Hinweis des Gerichts gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgenommen.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 25.10.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3125
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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