Rechtsprechung // Verfahrensrecht
OLG München, Urteil vom 05.08.2021 - 29 U 6406/20
Du sollst nicht verschweigen Deines Gegners Schriftsatz - Im einstweiligen Verfügungsverfahren hat der Antragsteller alles Zumutbare und Mögliche zu tun, damit das Gericht die Grundsätze der prozessualen Waffengleichheit einhalten kann (aut simile!)
BGB § 242; ZPO § 138 Abs. 1
Leitsätze:*1. Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur prozessualen Waffengleichheit sind auch in kennzeichenrechtlichen Verfügungsverfahren zu beachten.
2. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren, das seitens des Gerichts einseitig geführt wird und in dem der Antragsgegner somit keine Gelegenheit hat, sich gegenüber dem Gericht entsprechend dem jeweiligen Verfahrensstand zu äußern, treffen nicht nur das Gericht aus den Grundsätzen der prozessualen Waffengleichheit resultierende Pflichten, sondern hat auch der Antragsteller alles ihm Zumutbare und Mögliche zu unternehmen, um das Gericht in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte Entscheidung darüber zu treffen, ob, wann und wie der Antragsgegner vor
einer Entscheidung in der Sache einzubeziehen ist.
3. Dazu gehört regelmäßig das unaufgeforderte und unverzügliche Einreichen eines die Streitsache betreffenden Schriftsatzes der bislang nicht am Verfahren beteiligten Gegenseite auch dann, wenn das Verfahren bereits in Gang gesetzt wurde und der außergerichtliche Schriftsatz der Gegenseite erst danach, aber vor einer Entscheidung des Gerichts die Antragstellerseite erreicht.
4. Das bewusste Vorenthalten eines außergerichtlichen Schriftwechsels (hier u.a. ein Schriftsatz des Antragsgegnervertreters) kann nicht mehr als redliche Prozessführung angesehen werden, sondern stellt einen Verstoß gegen die aus § 138 Abs. 1 ZPO folgende prozessuale Wahrheitspflicht dar, der nicht anders zu beurteilen ist als das vorsätzliche Verschweigen außergerichtlicher Korrespondenz vor der Antragstellung. Die Beurteilung der Relevanz tatsächlicher und rechtlicher Ausführungen obliegt dabei nicht dem Antragsteller oder den Antragstellervertretern, sondern dem Gericht, zumal dies ain eigener Verantwortung können muss, ob die eine beabsichtigte Entscheidung ohne Beteiligung des Antragsgegners noch sachgerecht ist oder aber die Grundsätze der prozessualen Waffengleichheit eine förmliche Beteiligung der Gegenseite am Verfahren erforderten bzw. die besondere Dringlichkeit für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung anders beurteilt werden müsste (wird ausgeführt).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 06.10.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3120
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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