Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 09.09.2021 - I ZR 90/20
Influencer I - Zu den Voraussetzungen und der Annahme einer Kennzeichnungspflicht bei Instagram Posts von Influencern
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 4, § 5a Abs. 6, § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 2; TMG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Satz 1 Nr. 1 und 5, § 6 Abs. 1 Nr. 1; RStV § 58 Abs. 1 Satz 1; MStV § 22 Abs. 1 Satz 1
LeitsĂ€tze:*a) Geht ein klagender Wettbewerbsverband gegen geschĂ€ftliche Handlungen der Beklagten zugunsten des eigenen Unternehmens sowie zugunsten fremder Unternehmen vor, muss der KlĂ€ger sowohl ĂŒber eine erhebliche Zahl an Mitgliedern verfĂŒgen, die in einem WettbewerbsverhĂ€ltnis im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zu der Beklagten stehen, als auch ĂŒber solche, die in einem entsprechenden WettbewerbsverhĂ€ltnis zu den geförderten Drittunternehmen stehen.
b) Eine Influencerin, die Waren und Dienstleistungen anbietet und ĂŒber ihren Auftritt in sozialen Medien (hier: Instagram) bewirbt, nimmt mit ihren in diesem Auftritt veröffentlichten BeitrĂ€gen regelmĂ€Ăig geschĂ€ftliche Handlungen zugunsten ihres eigenen Unternehmens vor.
c) ErhĂ€lt eine Influencerin fĂŒr einen werblichen Beitrag in sozialen Medien eine Gegenleistung, stellt diese Veröffentlichung eine geschĂ€ftliche Handlung zugunsten des beworbenen Unternehmens dar.
d) ErhĂ€lt eine Influencerin fĂŒr einen in sozialen Medien veröffentlichten Beitrag mit Bezug zu einem Drittunternehmen keine Gegenleistung, stellt diese Veröffentlichung eine geschĂ€ftliche Handlung zugunsten des Drittunternehmens dar, wenn der Beitrag nach seinem Gesamteindruck ĂŒbertrieben werblich ist, also einen werblichen Ăberschuss enthĂ€lt, so dass die Förderung fremden Wettbewerbs eine gröĂere als nur eine notwendigerweise begleitende Rolle spielt (FortfĂŒhrung von BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - I ZR 124/03, GRUR 2006, 875 Rn. 23 = WRP 2006, 1109 - Rechtsanwalts-Ranglisten).
e) Ob ein Beitrag einer Influencerin in sozialen Medien einen zur Annahme einer geschĂ€ftlichen Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens erforderlichen werblichen Ăberschuss enthĂ€lt, ist aufgrund einer umfassenden WĂŒrdigung der gesamten UmstĂ€nde des Einzelfalls unter BerĂŒcksichtigung des Zusammenwirkens der Gestaltungsmerkmale (z.B. gepostete Produktfotos, redaktioneller Kontext, Verlinkung auf Internetseiten von Drittunternehmen) zu beurteilen. Der Umstand, dass die Influencerin Bilder mit "Tap Tags" versehen hat, um die Hersteller der abgebildeten Waren zu bezeichnen, genĂŒgt als solcher nicht, um einen werblichen Ăberschuss der Instagram-BeitrĂ€ge anzunehmen. Die Verlinkung auf eine Internetseite des Herstellers des abgebildeten Produkts beinhaltet hingegen regelmĂ€Ăig einen werblichen Ăberschuss, auch wenn auf der verlinkten Seite des Herstellers der Erwerb von Produkten nicht unmittelbar möglich ist.
f) Der nach § 5a Abs. 6 UWG erforderliche Hinweis auf den kommerziellen Zweck einer geschĂ€ftlichen Handlung muss so deutlich erfolgen, dass er aus der Sicht des durchschnittlich informierten, situationsadĂ€quat aufmerksamen und verstĂ€ndigen Verbrauchers, der zur angesprochenen Gruppe gehört, auf den ersten Blick und zweifelsfrei hervortritt. Der im Textteil eines in sozialen Medien veröffentlichten Beitrags erscheinende Hinweis auf den kommerziellen Zweck reicht regelmĂ€Ăig nicht aus, um den kommerziellen Zweck eines auf der neben dem Text angeordneten Abbildung erscheinenden "Tap Tags" als Werbung zu kennzeichnen.
g) Der kommerzielle Zweck eines in sozialen Medien veröffentlichten werblichen Beitrags einer Influencerin zugunsten eines Drittunternehmens ergibt sich nicht im Sinne des § 5a Abs. 6 UWG unmittelbar aus dem Umstand, dass die Influencerin nicht nur zu rein privaten Zwecken, sondern auch zugunsten ihres eigenen Unternehmens handelt. Es reicht nicht aus, dass sich fĂŒr die Adressaten aus den UmstĂ€nden ĂŒberhaupt eine kommerzielle Zweckverfolgung ergibt, sondern es muss jeder mit einem Kommunikationsakt verfolgte kommerzielle Zweck erkennbar sein.
h) Das Nichtkenntlichmachen des kommerziellen Zwecks eines die Verlinkung auf die Internetseite eines Drittunternehmens enthaltenden "Tap Tags" ist regelmĂ€Ăig geeignet, den Verbraucher zu einer geschĂ€ftlichen Entscheidung - das Anklicken des Links - zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hĂ€tte.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 27.09.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3113
*Redaktionell. Amtliche Leit- und OrientierungssÀtze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
BGH, Beschluss vom 16.11.2021 - VI ZB 58/20 , MIR 2022, Dok. 006
Auf die AushĂ€ndigung kommt es an - Zu den Voraussetzungen fĂŒr den Beginn der Widerrufsfrist und den Verlust des Widerrufsrechts (hier beim Maklervertrag)
BGH, Urteil vom 26.11.2020 - I ZR 169/19, MIR 2020, Dok. 095
Keine entsprechende Anwendung von § 656 Abs. 1 BGB auf einen Online-Partnervermittlungsvertrag
Bundesgerichtshof, MIR 2021, Dok. 049
Anti-Kater-Tabletten - Werbung fĂŒr Lebensmittel (hier Mineralstoffe) mit dem Zusatz 'Anti-Kater' untersagt
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2024, Dok. 094
Beste BildqualitĂ€t - Die Werbung mit einem sehr guten Teilergebnis bei mangelhaftem Gesamtergebnis eines Warentests ist ausnahmsweise nicht irrefĂŒhrend, wenn die Gesamtnote im Testbericht (wegen Produktverbesserung) ausdrĂŒcklich relativiert wird
OLG Köln, Urteil vom 24.06.2022 - 6 U 8/22, MIR 2022, Dok. 047