Kurz notiert // Kartellrecht
Bundesgerichtshof
Erhebliche Behinderung des plattformunabhängigen Onlinevertriebs - Unzulässigkeit der "engen Bestpreisklauseln" von Booking.com bestätigt
BGH, Beschluss vom 18.05.2021 - KVR 54/20; Vorinstanz: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.06.2019 - VI-Kart 2/16 (V)
MIR 2021, Dok. 040, Rz. 1
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 18.05.2021 (KVR 54/20) entschieden, dass die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten sog. "engen Bestpreisklauseln" nicht mit dem Kartellrecht vereinbar sind.
Zur Sache:
Das Hotelbuchungsportal "booking.com" ermöglicht Hotelkunden Direktbuchungen. Für die Vermittlungsleistung erhalten die Betreiber des Portals von den Hotelunternehmen eine erfolgsabhängige Provision. Ab Juli 2015 sahen die allgemeinen Geschäftsbedingungen von "booking.com" eine "enge Bestpreisklausel" vor. Danach durften die Hotels ihre Zimmer auf der eigenen Internetseite nicht zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anbieten als auf "booking.com". Jedoch konnten die Hotelzimmer auf anderen Online-Buchungsportalen oder, unter der Voraussetzung, dass dafür online keine Werbung oder Veröffentlichung erfolgt, auch "offline" günstiger angeboten werden. Das Bundeskartellamt hat im Dezember 2015 festgestellt, dass eine solche Klausel kartellrechtswidrig sei, und ihre weitere Verwendung ab 1. Februar 2016 untersagt. Seitdem wird sie von Booking.com nicht mehr angewandt.
Auf die Beschwerde von Booking.com hat das OLG Düsseldorf die Verfügung des Bundeskartellamts aufgehoben. Es hat angenommen, die engen Bestpreisklauseln beeinträchtigten zwar den Wettbewerb, seien aber als notwendige Nebenabreden der Vermittlungsverträge mit den Hotelunternehmen vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfasst. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt das Bundeskartellamt die Wiederherstellung seiner Verfügung.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Erhebliche Behinderung des plattformunabhängigen Onlinevertriebs der Hotels
Der Kartellsenat hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Beschwerde von Booking.com zurückgewiesen.
Bestpreisklauseln beschränken den Wettbewerb
Die enge Bestpreisklausel beschränke den Wettbewerb beim Anbieten von Hotelzimmern. Die gebundenen Hotels dürfen im eigenen Onlinevertrieb keine günstigeren Zimmerpreise und Vertragsbedingungen anbieten als auf booking.com. Ihnen werde dadurch insbesondere die naheliegende Möglichkeit genommen, die eingesparte Vermittlungsprovision vollständig oder teilweise in Form von Preissenkungen weiterzugeben und dadurch Kunden zu werben.
Bestpreisklausel nicht kartellrechtsneutral
Die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV sei entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht deshalb ausgeschlossen, weil die enge Bestpreisklausel als Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Austauschvertrag notwendig ist, um einen fairen und ausgewogenen Leistungsaustausch zwischen Booking.com als Portalbetreiber und den Hotels als Abnehmer der Vermittlungsdienstleistung zu gewährleisten. Ein solches Verständnis sei unvereinbar mit der Systematik des Art. 101 AEUV. Die für die engen Bestpreisklauseln geltend gemachten wettbewerbsfördernden Aspekte, wie die Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Plattformleistung durch Lösung des "Trittbrettfahrerproblems" (Gäste buchen direkt beim Hotel, nachdem sie sich auf Booking.com informiert haben) oder eine erhöhte Markttransparenz für die Verbraucher, müssten vielmehr sorgfältig gegen ihre wettbewerbsbeschränkenden Aspekte abgewogen werden. Diese Abwägung könne nach der Systematik des Art. 101 AEUV allein bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Absatz 3 dieser Vorschrift stattfinden.
Die enge Bestpreisklausel könne damit als Nebenabrede zum Plattformvertrag nur dann vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen sein, wenn sie für dessen Durchführung objektiv notwendig wäre. Das sei nicht der Fall. Zweck des Vertrags zwischen Booking.com und den Hotelunternehmen sei die Online-Vermittlung von Hotelzimmern. Für diesen Vertragszweck sei die enge Bestpreisklausel keine unerlässliche Nebenabrede. Ermittlungen des Bundeskartellamts, die auf Veranlassung des Beschwerdegerichts nach Aufgabe der Verwendung der engen Bestpreisklausel durchgeführt wurden, haben ergeben, dass Booking.com nach allen maßgeblichen Parametern wie Umsatz, Marktanteil, Buchungsmengen, Zahl der Hotelpartner und Anzahl der Hotelstandorte seine Marktstellung in Deutschland weiter stärken konnte.
Keine Gruppenfreistellung
Die enge Bestpreisklausel von Booking.com sei nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV gruppenfreigestellt, weil der Marktanteil von Booking auf dem relevanten Markt der Hotelbuchungsplattformen in Deutschland mehr als 30 % beträgt (Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO).
Keine Einzelfreistellung
Die Anwendbarkeit des Art. 101 Absatz 1 AEUV auf die enge Bestpreisklausel sei auch nicht aufgrund einer Einzelfreistellung gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift ausgeschlossen. Es fehle bereits an der ersten Freistellungsvoraussetzung, einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Darunter seien durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung bewirkte Effizienzvorteile zu verstehen. Zwar führe der Betrieb einer Hotelbuchungsplattform zu erheblichen Effizienzvorteilen sowohl für die Verbraucher als auch für die ihr angeschlossenen Hotels. Mit den Funktionen Suchen, Vergleichen und Buchen bietet das Hotelbuchungsportal dem Verbraucher ein komfortables, in dieser Form sonst nicht verfügbares, attraktives Dienstleistungspaket. Die Hotels erhalten durch die Hotelbuchungsplattformen den Vorteil einer deutlich erweiterten Kundenreichweite. Diese Effizienzvorteile setzten jedoch die enge Bestpreisklausel nicht voraus. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Trittbrettfahrerproblem besteht. Es bestünden aber - nach den Nachermittlungen des Bundeskartellamts und dem Vorbringen von Booking.com - keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Problem die Effizienz des Plattformangebots gravierend gefährdet. Andererseits behindere die enge Bestpreisklausel aber erheblich den plattformunabhängigen Onlinevertrieb der Hotels.
(tg) - Quelle: PM Nr. 099/2021 des BGH vom 18.05.2021
Zur Sache:
Das Hotelbuchungsportal "booking.com" ermöglicht Hotelkunden Direktbuchungen. Für die Vermittlungsleistung erhalten die Betreiber des Portals von den Hotelunternehmen eine erfolgsabhängige Provision. Ab Juli 2015 sahen die allgemeinen Geschäftsbedingungen von "booking.com" eine "enge Bestpreisklausel" vor. Danach durften die Hotels ihre Zimmer auf der eigenen Internetseite nicht zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anbieten als auf "booking.com". Jedoch konnten die Hotelzimmer auf anderen Online-Buchungsportalen oder, unter der Voraussetzung, dass dafür online keine Werbung oder Veröffentlichung erfolgt, auch "offline" günstiger angeboten werden. Das Bundeskartellamt hat im Dezember 2015 festgestellt, dass eine solche Klausel kartellrechtswidrig sei, und ihre weitere Verwendung ab 1. Februar 2016 untersagt. Seitdem wird sie von Booking.com nicht mehr angewandt.
Auf die Beschwerde von Booking.com hat das OLG Düsseldorf die Verfügung des Bundeskartellamts aufgehoben. Es hat angenommen, die engen Bestpreisklauseln beeinträchtigten zwar den Wettbewerb, seien aber als notwendige Nebenabreden der Vermittlungsverträge mit den Hotelunternehmen vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfasst. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt das Bundeskartellamt die Wiederherstellung seiner Verfügung.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Erhebliche Behinderung des plattformunabhängigen Onlinevertriebs der Hotels
Der Kartellsenat hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Beschwerde von Booking.com zurückgewiesen.
Bestpreisklauseln beschränken den Wettbewerb
Die enge Bestpreisklausel beschränke den Wettbewerb beim Anbieten von Hotelzimmern. Die gebundenen Hotels dürfen im eigenen Onlinevertrieb keine günstigeren Zimmerpreise und Vertragsbedingungen anbieten als auf booking.com. Ihnen werde dadurch insbesondere die naheliegende Möglichkeit genommen, die eingesparte Vermittlungsprovision vollständig oder teilweise in Form von Preissenkungen weiterzugeben und dadurch Kunden zu werben.
Bestpreisklausel nicht kartellrechtsneutral
Die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV sei entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht deshalb ausgeschlossen, weil die enge Bestpreisklausel als Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Austauschvertrag notwendig ist, um einen fairen und ausgewogenen Leistungsaustausch zwischen Booking.com als Portalbetreiber und den Hotels als Abnehmer der Vermittlungsdienstleistung zu gewährleisten. Ein solches Verständnis sei unvereinbar mit der Systematik des Art. 101 AEUV. Die für die engen Bestpreisklauseln geltend gemachten wettbewerbsfördernden Aspekte, wie die Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Plattformleistung durch Lösung des "Trittbrettfahrerproblems" (Gäste buchen direkt beim Hotel, nachdem sie sich auf Booking.com informiert haben) oder eine erhöhte Markttransparenz für die Verbraucher, müssten vielmehr sorgfältig gegen ihre wettbewerbsbeschränkenden Aspekte abgewogen werden. Diese Abwägung könne nach der Systematik des Art. 101 AEUV allein bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Absatz 3 dieser Vorschrift stattfinden.
Die enge Bestpreisklausel könne damit als Nebenabrede zum Plattformvertrag nur dann vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen sein, wenn sie für dessen Durchführung objektiv notwendig wäre. Das sei nicht der Fall. Zweck des Vertrags zwischen Booking.com und den Hotelunternehmen sei die Online-Vermittlung von Hotelzimmern. Für diesen Vertragszweck sei die enge Bestpreisklausel keine unerlässliche Nebenabrede. Ermittlungen des Bundeskartellamts, die auf Veranlassung des Beschwerdegerichts nach Aufgabe der Verwendung der engen Bestpreisklausel durchgeführt wurden, haben ergeben, dass Booking.com nach allen maßgeblichen Parametern wie Umsatz, Marktanteil, Buchungsmengen, Zahl der Hotelpartner und Anzahl der Hotelstandorte seine Marktstellung in Deutschland weiter stärken konnte.
Keine Gruppenfreistellung
Die enge Bestpreisklausel von Booking.com sei nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV gruppenfreigestellt, weil der Marktanteil von Booking auf dem relevanten Markt der Hotelbuchungsplattformen in Deutschland mehr als 30 % beträgt (Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO).
Keine Einzelfreistellung
Die Anwendbarkeit des Art. 101 Absatz 1 AEUV auf die enge Bestpreisklausel sei auch nicht aufgrund einer Einzelfreistellung gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift ausgeschlossen. Es fehle bereits an der ersten Freistellungsvoraussetzung, einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Darunter seien durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung bewirkte Effizienzvorteile zu verstehen. Zwar führe der Betrieb einer Hotelbuchungsplattform zu erheblichen Effizienzvorteilen sowohl für die Verbraucher als auch für die ihr angeschlossenen Hotels. Mit den Funktionen Suchen, Vergleichen und Buchen bietet das Hotelbuchungsportal dem Verbraucher ein komfortables, in dieser Form sonst nicht verfügbares, attraktives Dienstleistungspaket. Die Hotels erhalten durch die Hotelbuchungsplattformen den Vorteil einer deutlich erweiterten Kundenreichweite. Diese Effizienzvorteile setzten jedoch die enge Bestpreisklausel nicht voraus. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Trittbrettfahrerproblem besteht. Es bestünden aber - nach den Nachermittlungen des Bundeskartellamts und dem Vorbringen von Booking.com - keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Problem die Effizienz des Plattformangebots gravierend gefährdet. Andererseits behindere die enge Bestpreisklausel aber erheblich den plattformunabhängigen Onlinevertrieb der Hotels.
(tg) - Quelle: PM Nr. 099/2021 des BGH vom 18.05.2021
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 18.05.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3081
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