Rechtsprechung // Verfahrensrecht
BGH, Urteil vom 28.02.2019 - III ZB 96/18
Analoge Fristenkontrolle 2.0 - Bei einem elektronischen Fristenkalender muss eine Kontrolle durch den Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen
ZPO § 233
Leitsätze:*1. Die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten (BGH, Beschluss vom 12.04.2018 - V ZB 138/17; BGH, Beschluss vom 17.04.2012 - VI ZB 55/11; BGH, Beschlüsse vom 02.02.2010 - XI ZB 23/08 und XI ZB 24/08; BGH, Beschluss vom 12.10.1998 - II ZB 11/98). Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten. Dazu zählen nicht nur Datenverarbeitungsfehler der EDV, sondern auch Eingabefehler, insbesondere durch Vertippen. Der Rechtsanwalt, der laufende Fristen in einem elektronischen Fristenkalender erfasst, muss durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Kontrolle der Fristeingabe gewährleisten.
2.
a) Bei der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender muss eine Kontrolle durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. Unterbleibt eine derartige Kontrolle, so liegt ein anwaltliches Organisationsverschulden vor (Bestätigung BGH, Beschlüsse vom 12. April 2018 - V ZB 138/17, NJW-RR 2018, 1267 und vom 17. April 2012 - VI ZB 55/11, NJW-RR 2012, 1085).
b) Werden die Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender und die anschließende Eingabekontrolle in zwar mehrstufigen, aber ausschließlich EDV-gestützten und jeweils nur kurze Zeit benötigenden Arbeitsschritten am Bildschirm durchgeführt, besteht eine erhöhte Fehleranfälligkeit. Den Anforderungen, die an die Überprüfungssicherheit der elektronischen Kalenderführung zu stellen sind, wird durch eine solche Verfahrensweise nicht genügt.
3. Eine automatisierte programmseitige Eingabekontrolle ist nicht gleich effektiv und sicher wie eine Kontrolle anhand eines Papierausdrucks, wenn sie ausschließlich EDV-gestützt über die Einsichtnahme in die im Dialogfeld "Eingabekontrolle" auf dem Bildschirm angezeigten Daten erfolgt. Eine solche Kontrolle ist deutlich anfälliger insbesondere für ein sogenanntes Augenblicksversagen der mit ihr beauftragten Mitarbeiter als eine Kontrolle mittels eines Ausdrucks.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 02.04.2019
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2917
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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